Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

48 Reichstag. 
gleich besähigter Elemente erklärt, bei welcher die Befähigung selbst that- 
söchlich im höchsten Grade noch nugleich ist? Meine Herren! Hier in 
Preußen hatte der Staat vor zwei Jahren etwa 6000 Studirende und 
44000 Schüler von Gymnaslen, Realschulen und höheren Bürgerschulen; 
wenn Sie nach diesen Zisfern den lleberschlag zlehen, wie viel Männer in 
dem Preußischen Staate augenblicklich leben, die eine Über das niedrigste 
Mah der elementarischen Bildung hinausgehende Justruction bekommen 
haben, so werden Sie höchstens auf die Ziffer einer Million kommen; die 
UÜbrigen 18 Millionen des früheren Preußischen Staates sind in ihrer geisti- 
gen Entwickelung nicht über das Maaß der nothdl#rftigsten elementaren 
Kenntnisse hinaus, und ein Jeder vou Ihnen weiß, meine Herren, daß ein 
ganz ähnliches Ergebniß erscheint, wenn Sie nach den äußern Bedingungen 
soclaler Selbstsländigkeit, nach den Vermögensocrhältnissen sich erkuudigen. 
Auch hier sind es wenige Procente der Vevölkerung, die lhren Mitgliedern 
eine solche äuhere Stellung geben, die sie nur um ein geringes erhebt 
über das nothdürftigste Maß der elementaren Existenz. Bei solchen Be- 
völlerungsmassen, meine Herren, ist es bei dem indirecten Wahlverfahren 
eine ganz klar zu beantworkeude Frage, ob der Bürger unter seiner nächsten 
Umgebung einen Mann anzugeben weiß, den er für das Wahlgeschäft be- 
fähigt erachtet; die Frage aber, ob er weit umher im Deutscheu Vaterlande 
einen Mann kenne, den er als Gesetzgeber in's Parlament schicken will, dlese 
Frage liegt vollstäudig Uber seinem Horizonte; hier eröffnet also das directe 
Wahlverfahren gerade der Abhängigkeit und der Beeinflussung Thor und 
Thür. Ich kann bei solchen Verhällknissen mich nicht entschließen, 
für dleses Wahlverfahren des gegeuwärtigen Neichstages zu 
stimmen. Ich finde keinen Gegengrund, der irgendwie ins Gewicht fallen 
könnte gegen dle Beibehaltung des bieherigen Pre#ßischen Wahlsystems. Der 
Herr Abgeordnete Wagener hat uns vorher aufgefordert, nun doch 
eiumal bestimmt zu sagen, welches Wahlgesetz denn besser als das 
proponirte sei. Meine Herren, ein ideal vortreffliches Wahlgesetz zu de- 
finiren maße ich mir nicht an, ich bin zufrieden, wenn die wichtigsten Be- 
stimmungen des Wahlgesetzes die Richtung aus die Selbstständigleit, auf die 
parlamentarische Entwicklung vorzeichnen. Dicse Richtung finde ich bei dem 
bisherigen Preußischen Wahlgesetz, und wenn wir hierbei bleiben, 
so gewinnen wir dazu noch die Möglichkeit, ohne irgeud welche complieirte 
Operationen die Existenz des Preußischeu Abgeordnetenhauses mit der 
Existenz des Deutschen Reichstages zu vereinigen; so bald beide Ver- 
sommlungen aus einer Wahloperation oder weulgstens aus einem Wahl- 
system hervorgehen, ist die Gesahr, die aus etwa divergirenden und colli- 
direnden Richtungen in beiden Versammlungen entspringeu könate, im höchsten 
Maßbe verringert. Es scheint mir auch sehr nahe liegeud die Auskunft sich 
zu ergeben, in derselben Wahloperation die Preußischen und die Deutscheu 
Deputirten zu ernennen, und was hier für Preußen gilt, wlirde sich sehr
	        
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