576 Schlichtung von Streitigkeiten 2c.
den sollen, wie wenn sie gegen eine ein zelne Regiernag began-
gen würden, und, wenn es zur Constikuirung eines Bundesge-
richts kommen sollte, dann vor dieses Bundesgericht auch dlesen
Gegenstand zu verweisen. Die zweite Unauflöslichkeit, die eine
noch gröbere Unausl"slichkeit genannt werden kann, ist der zweite
Absatz des Artikel 70 d. E. Es sollen nach diesem Verfassungs-
streitigkeiten in den Bundesstaaten, wenn sie nicht gütlich erledigt werden
können, im Wege der Gesetzgebung geschlichtet werden. Es hat schon
der erste Redner Über diesen Gegenstand in Beziehung auf die rechtliche Seite
die größten Bedenken gegen diese Bestimmung herausgehoben und ich will
deßhalb diese Richtung nicht weiter berühren. Aber, meine Herren, es ist
sa total undurchfÜhrbar, was hier in dem Artikel bestimmt ist.
Einestheils soll die Gesetzgebung einen Proceß nicht entschei-
den; es würde darin das gröhte Unrecht liegen und gegen einen Grund-
satz der Gerechtigkeit verstoßen, d. h. das Gesetz würde zurück-
wirken auf einen vergangenen Fall. Sodann aber, wie wollen
Sie es denn durchführen? Nehmen Sie einmal eine solche Ver-
fassungsstreitigkeit, nehmen Sie den Fall, der uns in einer Petition vor-
liegt: die Einwohner des Fürstenthums Ratzeburg beschweren sich gegen die
Mecklenburg Strelitz'sche Regierung, sie sagen: die Meckleuburg Strelitz'sche
Regierung will uns incorporiren, hat aber gar nicht das Recht dazu; wir
sind bloß durch Personolunion mit Mecklenburg verbunden, protestiren aber
durchaus gegen den Namen von Meckleuburgern, wir wollen Ratzeburger blei-
ben und können als besonderes Ländchen für uns eine ständische Repräsen-
tation ansprechen. Dieser Protest würde also vor den Bundesrath kommen
und, wenn er von diesem nicht gütlich beigelegt werdeu kann, durch die Geset-
gebung eutschieden werden. Ja, meine Herren, um durch die Gesetzgebung
zu entscheiden, da ist erforderlich, daß zwei unter Einen Hut kom-
men, Uebereinstimmung des Parlaments und des Bundesrathe.
Wenn nun aber das Parlament das Recht der Rateburger vollkommen
auerkeant und der Meinung ist, es soll ihnen eine besondere Repräsen-
tation gegeben werden, der Bundesrath dagegen das Gegentheil will;
was dann, meine Herren? Dann haben Sie gar keine Entscheid ung!
Ja, wenn das Parlament allein die Gesetzgebung zu üben hätte, dann könnte
man ihm die Entscheidung anvertrauen; aber auf jene Weise können Sie es
gar nicht durchführen. Es ist wirklich ein unauflöslicher Passus. Solche
Punkte eignen sich gewiß am besten flir ein anderes Organ zur Entscheidung —
aber ein Organ, welches in dem ganzen Entwurf nicht zu finden auch ich
mich sehr wunderte. Bei der Gründung eines politischen Gemein-
wesens sieht man es, wie die Geschichte lehrt, stets als eine der ersten
Aufgaben an, bei welchem Gerichte Recht za suchen ist in Bezug
auf dieses Gemeinwesen und auf selne Rechtsverhältnisse. Nun
hat allerdings der Verfassungsentwurf dafltr gesorgt, daß ein Gericht