Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel W. 21. Biemarck. 51 
ju zwei, plötzlich zwischen Hans mit 4 Thlr. 7 Sgr. und Kunz mit 4 Thlr. 
6 Sgr., reißt die Reihe ab, und die anderen werden mit dem Proletariat 
msammen geworfen. Wenn der Erfinder dieses Wahlgesetzes sich die prak- 
tische Wirkung desselben vergegenwärtigt hätte, hätte er es nie 
hemacht. Eine ähnliche Willkürlichkeit und zugleich eine Härte 
liegt in jedem Census, eine Härte, die da am fühlbarsten wird, wo 
bieser Census abreißt, wo die Ausschließung anfängt; wir können es dem 
Ausgeschlossenen gegenüber doch wirklich schwer motiviren, daß er deshalb, 
weil er nicht dieselbe Steuerquote wie sein Nachbar zahlt — und er wülrde 
ste gern bezahlen, denn sie bedingt ein größeres Vermögen, das hat er aber 
nicht — er gerade Helot und politisch todt in diesem Staatswesen sein solle. 
Diese Argumentation findet überall an jeder Stelle Anwendung, wo eben 
die Reihe Derer, die politisch berechtigt bleiben sollen, abgebrochen wird. Auf 
ständische Wahlrechte zur Uckzugreifen, hat noch Niemand vor- 
geschlagen, und ich erwähne sie nur, um die Richtigkeit einer vorhin hier 
anegesprochenen Meinung zu bestätigen, daß im Ganzen jedes Wahlgesetz 
unter denselben äußeren Umständen und Einflüssen ziemlich gleiche Refultate 
glebt. Ich glaube, wenn wir heute auf der Basis des vereinigten 
Landtages mit zehnjährigem Grundbesitz wählten, würden wir 
ungefähr dleselbe Vertretung haben, und die Gesammtbestände der 
Vertretungen Deutschlande haben selt melner parlamentarischen Lausbahn, 
seit 1847, nicht gewechselt: ich habe immer dleselben alten, zum Theil 
lieben, zum Theil kampfberekten Gesichter mir gegenber gesehen. 
(Große Heiterkeit.) Ich halte die Frage für offen, bis mir Je- 
mand Überzeugend darthut, daß ein anderes Wahlgesetz besser ist 
und freier von Mängeln, als das im Entwurf vorgelegte, und im Besitze 
besonderer Vorzüge, die dieses nicht hat; die Frage ist discutirbar, 
aber ich glaube, wenn wir uns in ihre Diseussion vertieften, 
würden wir die ganzen Bibliotheken, die über diese Frage im Lause 
ler letzten dreißig Jahre geschrieben worden sind, hier durchdiscutiren 
und würden uns doch schwer einigen. Ein Vorwurf ist dem Wahl- 
gesetz aus dem Hause deshalb gemacht, weil es directe Wahlen und nicht 
indirecte vorschreibt; meiner Ueberzeugung nach bilden aber die 
indirecten Wahlen an sich eine Fälschung der Wahlen, der Mei- 
nung der Nation. Ee läßt sich das schon aus einem einfachen Rechen- 
exempel, welches ich schon vor zwanzig Jahren aufgestellt habe und hier 
wirderhole, darlegen: Wenn man annimmt, daß die Majorität in jeder 
Stufe der Wahl nur eins Über die Hälfte zu sein braucht, so repräsenti#t 
der Wahlmann schon nur einen Urwähler mehr als die Hälfte; der Abge- 
ordnete repräsentirt nur einen Mann Über die Hälste der Wahlmänner, 
deren Gesammtheit ja schon nur etwas Über die Hälste der Urwähler re- 
präsentirt, der Abgeordnete, wenn nicht sehr große Majoritäten überall thätig 
gewesen sind, ich nehme den schlimmsten Fall an mit sehr kleiner, repräfentirt
	        
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