Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artilel 79. Wigard. 635 
einen neuen Staat zusammenzutreten. Man wird gegen diesen Antrag nicht 
einwenden wollen, dah derselbe in diesem Angenblicke wenigstens in der 
gegenwärtigen Lage der äußeren Politik nicht opportun sei, daß es besser 
sei, das, was man dächte, heute nicht in der Weise auszusprechen. Ich 
glaube, meine Herren, das Ausland weiß das schon ebenso gut wie wir, daß 
Nichts in der Welt die Deutsche Nation auf die Dauer auseinander halten 
kann; dem Auslande kann der entschiedene Wille aller Theile der Nation, 
zusammen zu bleiben und zusammen zu gehören in Noth und in Gefahr, 
nicht verborgen sein. Sollte das Ausland sich aber dennoch solchen Illusio- 
nen hingeben, so ist es besser, eher heute als morgen ihm die Illusionen zu 
zerstören. (Richtig)) Das Ausland muß wissen, daß ebenso wie es unmög- 
lich ist, Familienglieder durch einen Vertrag zwischen Dritten auseinander zu 
halten, die in sich das Gesühl der Einigkeit und der gegeuseitigen Zusammen- 
gehörigkeit haben, so auch jeder Versuch die Glieder einer großen nationalen 
Familic zu trennen und dauernd auseinander zu halten, einer nationalen 
Familie, die in sich einig ist in den historischen Traditionen, in den Auf- 
gaben für die Zukunft, in Sprache und Sitte, vergeblich ist — und dies 
soll unser Antrag laut bezeugen. (Bravol auf beiden Seiten.) 
Dr. Wigerd (Dresden).“) Während des Verlaufs naserer Verhand- 
lungen haben wir oft und häufig von der Einheit Deutschlands sprechen 
hören und wurde diese Verfassung als ein Werk bezeichnet, welcheo den Grund-- 
stein zu der Deutschen Einheit lege. Mit solchen Illusionen bin ich nicht 
hierher gekommen, habe vielmehr sehr nüchtern dieses Werk angesehen, und 
meine Herren, wir können uns nicht leugnen, daß gegenwärtig von einer 
solchen Deutschen Einheit noch nichts zu sehen ist. Wir sind vielmehr, 
meine Herren, zerrissen in drei Theile: aus der einen Seite sehen wir 
den Norddeutschen Bund in sich abgeschlossen, auf der anderen Seite 
stehen die Süddeutschen Staaten vereinzelt, und endlich sind die Deutsch- 
Oesterreichischen Lande mit fremden Völkern vereinigt. Sehe ich, meine 
Herren, was zun ächst den Norddeutschen Bund anlangt, die Versassung 
an, wie fle bis jetzt aussieht, so muß ich offen gestehen, daß ich ein eigent- 
liches Bundesverhältniß wenig darin erblickeu kann. Denn mir scheint ein 
wahres und rechtes Bundesverhältniß der gegenwärtigen Zusammensetzung 
und Verbindung so kleiner Staaten mit einem so großen Staate, wie Preußen 
ist, nicht denkbar. Wir sehen, wie der Herr Abgeordnete Bebel sehr richtig 
bemerkt hat, hier den Großstaat Preußen, an dem sich die übrigen kleinen 
Staatchen gewissermaßen als Vasallstaaten anschließen. (Lebhaster 
Widerspruch.) Daß von Deutsch-Oesterreich, meine Herren, gegenwärtig 
nicht zu sprechen ist, bescheide ich mich zwar, obwohl wir auch in Bezug auf 
die Deutsch-Oesterreichischen Lande immer an den Ausspruch denken dürfen, 
  
% Gt. Ber. S. 634.
	        
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