Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel 32 (Diäten). Schulze. 679 
etwas gewagte Versuch des allgemeinen gleichen directen Wahlrechts nur mit 
Hinzufügung eines Präserwatlv= oder Correctivmittels annehmbar sein könnte. 
Ich habe nochmale kurz hervorzuheben, wie sich die Sache nun stellt. Man 
giebt das allgemeine Wahlrecht und man beseitigt sofort den Zweck, den man 
überhaupt damit nur haben kann. Der Zweck einer jeden Wahl ist doch nur 
der Ausdruck des unbedingten Vertrauens, den man zu einer Persönlichkeit, 
die man wählt, hat, um ihr diese oder jene Sendung anzuvertrauen. Wenn 
ich nun also zum Wählen berufe und sage: ihr dürft zwar sämmtlich wählen, 
aber müßt aus dem Kreise dieser oder jener Personen wählen, — dann verkehre 
ich den ganzen Zweck und Sinn, den das Wahlrecht überhaupt hat, in sein 
Gegentheil, dann ist von einem eigentlichen Wahlrecht gar nicht mehr die 
Rede. Wenn ich nicht mehr denjenigen wählen kann, der mir bei allgemeinem 
Vorhandenfein gewisser gesetzlicher Bediugungen der geeigneteste scheint, dann 
habe ich eben kein Wahlrecht im eigentlichen Sinne, wenn es mir in passiver 
Hinsicht so verschränkt wird, obgleich man mich zum Wählen berust. Wie 
stellen sich die Sachen weiter? Weshalb hat man sich fUr das allgemeine 
gleiche Wahlrecht entschieden? Der Herr Präsident der Bundescommissarien 
hot une das ganz Verwerfliche des Klassenwahlsystems, nach dem wir noch 
für unsere Preußische Landesvertretung wählen, mit sehr drastischen Worten 
klar gemacht und von unserer Seite, von Selten meiner und meiner politl- 
schen Freunde, hat er gewiß gar keinen Widerspruch darin gefunden. Man 
kann doch nichts Anderee dabei beabsichtigen als die politische Gleichberechti- 
gung mit Aufhebung der Klassenunterschiede einföhren. Wae thut man aber? 
Man führt sie bei dem activen Wahlrecht ein, um sie sofort durch eine 
Hinterthür beim passiven Wahlrecht wieder aufzuheben. Also der ganze 
Sinn der Coneession, die so gut ihre soclale wie ihre politische Seite 
hat, wird sosort wieder in sich vernichtet durch die Beschränkung dee passiven 
Wahlrechts, indem man thatsächlich nur einer bestimmten Klasse von Bürgern, 
die vorzugsweise hinsichtlich ihrer Bermögensverhältnisse bevorzugt werden, 
die Möglichkeit, eine Wahl zu erlangen, die Möglichkeit, daß auf sie die Wahl 
geleitet werde, zuwendet. Meine Herren, was ist das nun für ein Schug- 
mittel? Sie haben sich häufig gegen die Ausführungen der Minorität, der 
ich angehöre, auf die Wahlen zu dieser Versammlung berufen und nun geben 
Sie dem allgemeinen Wahlrecht durch die Diätenentziehung ein Mißtrauens- 
votum, weil Sie fürchten, daß bei der weiteren Entwickelung der Dinge das 
allgemeine Wahlrecht Ihnen ein Mißtrauensvotum geben könnte. (Leb- 
hafter Beisall linke.) Wenn man sich auf den Standpunkt stellen will, 
wie Sie es thun, daß man meint, das allgemeine Wahlrecht in seiner un- 
bedingten Zulassung aller Staatsangehbrigen zu den Wahlen könnte die Staats- 
ordnung, die Staatssicherheit gefährden, — wenn man sich auf solchen Standpunkt 
Überhaupt stellen will, dann glaube ich, kommt man mit diesen künstlichen Schutz- 
mittelu und Correctiovmitteln niemals aus. Im Gegentheil man wird die 
gefürchtete Gefahr bei weitem mehr hervorrufen, bei weitem mehr verschärfen als
	        
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