Artikel 22. Becker. 79
aus welchem subjectiven Grunde sie immerhin wollen, — gleichwohl die ge-
sammte Nation. Die Herren, welche mit der Preußischen Verfassung,
und besonders mit dem Preußischen Preßgesetze näher bekanut find, kenuen
längst die volle Consequenz, die sich darans ergiebt, daß die Verhandlungen
der Kammern absolut öffentlich sind; sie haben sast täglich Gelegenheit, Be-
stimmungen wahrzunehmen und zu würdigen, die sich daraus ergeben. Das
Preßgesetz besreit die Publicationen der Kammern, wie die Publicationen der
öffentlichen Behörden von der Cautionsbestellung für den Fall, daß sie perio-
disch publicirt werden; serner sind die Kammern von der Pflicht, lihre Druck-
sachen bei der Polizei zu deponiren und also der Beschlagnahme durch die
Organe der gerlchtlichen Polizei auszusetzen, befrelt und dergleichen mehr.
Die Gesetzgebung hat also, bei uns in Preußen wenigstens, den
parlamentarischen Körperschaften eine prlollegirte Stellung
angewiesen Aber — und das möchte ich denjenigen Herren sagen, die
den Einwand zu machen pflegen, die Abgeordneten wollten als solche für
sich, für ihre Person ein Privilegium in Anspruch nehmen — um ein Vor-
recht für unsere Personen handelt es sich in Wirklichkeit nicht. Wenn das
Gesetz, wie auch die Vorlage es thut in Artikel 28, den Abgeordneten
innerhalb seines Berufes vollständig der Cognitlon der Staats-
anwaltschaft und der Gerichte entzleht, so thut es das nicht,
um ihm persönlich die Ungunehmlichkeit einer Collision mit
dem Gesetz, einer Verurtheilung zu entzlehen, sondern um die
Körperschaft, die durch die Versassung berusen ist, die Regierung zu cou-
troliren, nicht selbst wieder in dieser Function unter die Con-
trole derselben Regierung zu stellen. Denn das sind zwel Dinge,
die sich schlechterdings nicht mit einander vertragen. Sie kounen nicht dle-
selbe Körperschaft berusen, die Regierungshandlungen zu controliren, und
gleichzeitig diese Körperschaft in der Ausübung dieser Pflicht unter die Con-
trole und unter die Cognition der controlirten Gewalt stellen. Sollten
Sie die Unverantwortlichkeit nicht auf die Presse ausdehnen, so
würden Sie elusach nichts anderes thun als, zwar die Person des
Abgeordneten außer Berlhrung mit der Staatsanwaltschaft brin-
gen, aber glelchwohl es möglich machen, daß seine Aeußerungen,
seine Thätigkeit, nach den Bestimmungen der Strasgesegebung
bemessen würden; und da wüllrde es sich wohl zkemlich gleich blelben,
ob der Redner verurtheilt wird, oder derjenige, welcher die Rede ge-
druckt hat. Tritt eine Verurtheilung ein, so wird eben die Aeußerung als
solche verurtheilt, welche doch durch das Gesetz, resp. durch die Versassung
jeder weiteren Untersuchung, jedem weiteren Urtheil durch andere Organe
des Staats entzogen sein soll. Aber selbst, wenn die Meinung vorhanden
sein sollte, daß es nützlich seln könnte, auch eine solche Ceufur eingurichten,
bri der die Person des Abgeordneten als, Redner aber außer Betracht bliebe. —
wenn diese Ansicht verbreltet seln sollte, was ich nicht gern annehmen möchte, —