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so muß ich doch auf Eins ausmerksam machen. In Wirklichkeit würde sich
die Sache nicht elnmal so stellen, daß die Staatsregierung, wenigstens nicht
in weiterem Maße, Gelegenheit fände, die Reden der Abgrordneten auf diese
Weise zu censiren. Es würde sich vielmehr eine ganz andere Cenfur
entwickeln und der Reglerung zuvorkommen, nämlich die Censur der
Gewerbbetreibenden, welche aus der Publication der Reichstagsverhand-
lungen ein Gewerbe machen, und ich glaube, meine Herren, das ist die
allerschlimmste Censur, die Sie sich denken können. Diese Cen ur
hat — ich erinnere mich dessen sehr genau — vor ungefähr zehn Jah-
ren bestanden; da habe ich es erlebt, daß in der Provinzlal-Presse
die Reden von Abgeordneten der Opposition erst dann wieder-
gegeben wurden, nachdem sie hier Iin Berlin in der Kreuzzeitung
gestanden hatten. Man getraute sich in den Provinzialstädten manchmal
nicht, die Reden in weiterem Umsange mitzutheilen. Wenn es irgend eine
schlechte Censur giebt, so ist es die, welche der Buchdrucker oder Buchhändler
auslibt, und dieser wollen Sie sich doch gewiß nicht unterziehen und unter-
werfen, und das würde geschehen, wenn Sie das Amendement Ausfeld, und
sogar das Amendement Lasker ablehnen sollten.
Präsident der Bundescommissarien Ministerpräsident Graf v. Sismarck.“)
Die verbündeten Reglerungen befürchten von der Freiheit der
Veröffentlichung der Parlamentsreden keine Gefahr. Wir haben
geseben, daH Reden aus dem Preußischen Abgeordnetenhause, wie sie wohl
stärker in keiner Versammlung dieser Art gehalten waren, veröffentlicht wur-
den ohne jegliche Gefahr. Die Gründe, die uns veranlaßt haben — und
mich bei einer audern Gelegenheit persönlich — einer solchen gesetzlichen Be-
stimmung, wie sie hier von jener Seite (links) beflrwortet wird, zu wider-
sprechen, sind andere; ich kann sie wohl bezeichnen als Gründe der Sittlich-
leit. Es giebt viele Dinge, die ein Staat dulden kann; er kann
sie ignoriren; aber etwas Andere ist es, sie gesetzlich zu sanctio-
niren. Dazu rechne ich auch das Recht, einen andern Mitbürger
zu beleidigen, ohne daß dieser irgend eine Genugthuung dafür
finden könnte. Ich will von Verbrechen, die man mit Worten begehen
kann, nicht reden; ich rechne gar nicht darauf, daß sle an der Stelle began-
gen werden würden. Ich will nur reden vom Schutze der Ehre eines
jeden Bürgers, welchen Schutz das Gesetz ihm schuldig ist. Diesen Schutz
ihm zu entziehen, das halte ich — ich wiederhole es — gegen die Sittlich-
keit, gegen die Menschenrechte. Unter Menschenrechten lasse ich mir aus-
drsicklich diejenigen gefallen, welche in Frankreich im Jahre 1791 adop-
tirt wurden, und in die Verfassung der Republik UÜbergegangen sind. Es
heißt darin ausdrücklich, und zwar in Bezug auf dle Freiheit der opinions,
) St. BVer. G. 442.