Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

80 Reichstag. 
so muß ich doch auf Eins ausmerksam machen. In Wirklichkeit würde sich 
die Sache nicht elnmal so stellen, daß die Staatsregierung, wenigstens nicht 
in weiterem Maße, Gelegenheit fände, die Reden der Abgrordneten auf diese 
Weise zu censiren. Es würde sich vielmehr eine ganz andere Cenfur 
entwickeln und der Reglerung zuvorkommen, nämlich die Censur der 
Gewerbbetreibenden, welche aus der Publication der Reichstagsverhand- 
lungen ein Gewerbe machen, und ich glaube, meine Herren, das ist die 
allerschlimmste Censur, die Sie sich denken können. Diese Cen ur 
hat — ich erinnere mich dessen sehr genau — vor ungefähr zehn Jah- 
ren bestanden; da habe ich es erlebt, daß in der Provinzlal-Presse 
die Reden von Abgeordneten der Opposition erst dann wieder- 
gegeben wurden, nachdem sie hier Iin Berlin in der Kreuzzeitung 
gestanden hatten. Man getraute sich in den Provinzialstädten manchmal 
nicht, die Reden in weiterem Umsange mitzutheilen. Wenn es irgend eine 
schlechte Censur giebt, so ist es die, welche der Buchdrucker oder Buchhändler 
auslibt, und dieser wollen Sie sich doch gewiß nicht unterziehen und unter- 
werfen, und das würde geschehen, wenn Sie das Amendement Ausfeld, und 
sogar das Amendement Lasker ablehnen sollten. 
Präsident der Bundescommissarien Ministerpräsident Graf v. Sismarck.“) 
Die verbündeten Reglerungen befürchten von der Freiheit der 
Veröffentlichung der Parlamentsreden keine Gefahr. Wir haben 
geseben, daH Reden aus dem Preußischen Abgeordnetenhause, wie sie wohl 
stärker in keiner Versammlung dieser Art gehalten waren, veröffentlicht wur- 
den ohne jegliche Gefahr. Die Gründe, die uns veranlaßt haben — und 
mich bei einer audern Gelegenheit persönlich — einer solchen gesetzlichen Be- 
stimmung, wie sie hier von jener Seite (links) beflrwortet wird, zu wider- 
sprechen, sind andere; ich kann sie wohl bezeichnen als Gründe der Sittlich- 
leit. Es giebt viele Dinge, die ein Staat dulden kann; er kann 
sie ignoriren; aber etwas Andere ist es, sie gesetzlich zu sanctio- 
niren. Dazu rechne ich auch das Recht, einen andern Mitbürger 
zu beleidigen, ohne daß dieser irgend eine Genugthuung dafür 
finden könnte. Ich will von Verbrechen, die man mit Worten begehen 
kann, nicht reden; ich rechne gar nicht darauf, daß sle an der Stelle began- 
gen werden würden. Ich will nur reden vom Schutze der Ehre eines 
jeden Bürgers, welchen Schutz das Gesetz ihm schuldig ist. Diesen Schutz 
ihm zu entziehen, das halte ich — ich wiederhole es — gegen die Sittlich- 
keit, gegen die Menschenrechte. Unter Menschenrechten lasse ich mir aus- 
drsicklich diejenigen gefallen, welche in Frankreich im Jahre 1791 adop- 
tirt wurden, und in die Verfassung der Republik UÜbergegangen sind. Es 
heißt darin ausdrücklich, und zwar in Bezug auf dle Freiheit der opinions, 
) St. BVer. G. 442.
	        
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