Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel 23. Baumsiart. 87 
werk zu gründen, und es scheint mir vor allen Dingen unentbehrlich zu fein, 
doß das Volk, über dem das vereinigende und schützende Dach gebaut wer- 
den soll, das Recht der Petition zuerkannt, ausdrücklich zuerkannt bekomme, 
und daß der Reichstag ausdrücklich das Recht bekomme, solche Petitionen 
anzunehmen und diefelben der Bundesregierung zu überweisen. Sie müssen 
sich wohl vergegenwärtigen, meine Herren, daß der künftige Reichstag zur 
Berweifung an die künftige Bundesgewalt sehr viele Petitionen, Beschwerden 
und dergleichen mehr bekommen wird, denn es sind ja vorzugsweise vielfäl- 
tige und große Uebelstände, Über die imn Volke geklagt wird und um derent- 
willen gerade der Bundesstaat gegründet werden soll. Dem Volke soll aber 
das Recht der Petition zuerkannt werden in dem Verfassungswerke. 
Wir haben nach einem — ich muh sagen — ganz richtigen Verständniß und 
Verfahren unseres verehrten Herrn Präsidenten am Anfange unserer Ver- 
handlungen über den Verfassungsentwurf die Erfahrung gemacht, daß, weil 
des Petitionsrechts in den Gesetzentwürfen, auf Grund deren wir zusammen- 
berusen worden sind, nicht gedacht worden ist, deswegen Petitionen abgewie- 
sen worden sind. Wenn nun aber in dem Verfassungswerke der Petitionen, 
des Petitionsrechtes und des Rechtes des Reichstages, Petitlonen an die 
Bundesgewalt zu Uberweisen, nicht gedacht sein würde, so fürchte ich, könn- 
ten später an den Reichstag gelangende Petitionen in einer gleichen Weise, 
und zwar dann mit Recht in gleicher Weise abweisend behandelt werden. 
Der Herr Abgeordnete Lasker hat in seinan Amendement das Recht, 
Adressen an das Bundespräsidium zu richten, erwähnt. Meine Herren, 
ich halte dieses Recht für unentbehrlich; ich behaupte aber, daß der Reichs= 
tag es vermöge seiner Stellung, die er durch die Verfassung bekommen wird, 
eo ipso schon hat. Ich habe jedoch keine Bedenken dagegen, dieses Recht als 
ihm zuständig auch in der Verfassungsurkunde anzuflihren; ich würde aber, 
wenn es ihm nicht ausdrücklich in der Verfassungsurkunde zuerkannt würde, 
einen wesentlichen Mangel darin nicht erkennen. Das Recht der Inter- 
pellation steht nach meiner Auffassung genau auf demselben Boden. Das 
Recht der Interpellation muß eine solche Versammlung haben, und hat es 
nach meiner Ueberzeugung als solche vermöge der üÜbrigen Rechte, die ihr zu- 
gestanden werden müssen, und vermöge ihrer Pflichten. Ich würde einem Antrage, 
das Interpellationsrecht anzuführen, an und für sich gar nicht entgegentre- 
ten; ich würde aber auch wiederum keinen Mangel darin erblicken, wenn das 
Interpellationsrecht nicht erwähnt würde. Wir haben es bekanntlich in 
Preußen, obschon es nicht ausdrücklich in der Verfassungsurkunde steht. Be- 
schwerden, meine Herren, gehen nach meiner Erfahrung stets in Gestalt 
von Bitten ein, und es ist nicht nothwendig, zu sagen „Beschwer den und 
Bitten“, es genügt nach meiner Ueberzeugung, wenn man „Bitten“ oder 
„Petitionen“ sagt. Was der Herr Antragsteller unter „den anderen 
Schriften“ verstanden hat, ist mir allerdings unklar, aber ich bin der 
Meinung, daß es dem Reichstage an und für sich zusteht, der Bundesgewalt
	        
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