Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

996 I. Session des deutschen Reichstages. 
daran! (Lebhafter Widerspruch. Unruhe.) Meine Herren, wir sind Groß- 
deutsche gewesen, ich bin ein Großdeutscher gewesen; aber Sie, meine Herren, 
Sie vormalige Kleindeutsche sind ja zu uns übergegangen. (Widerspruch.) 
Gewiß! Die Kleindeutschen wollten ein Deutschland bis an die Mainlinie; 
das war uns nicht groß genug. (Anhaltender Widerspruch.) Nun, ich ver- 
weise Sie einfach, wenn Sie das verneinen, was notorisch ist, auf die Be- 
zeichnung kleindeutsch und großdeutsch, die schon für sich allein Alles besagt. 
(Widerspruch. Unterbrechung.) 
Fräsident: Was hilft das Zurufen während der Rede! 
Reichensperger (Crefeld) fortf.: Es sind auch noch Aeußerungen ge- 
fallen ähnlichen Sinnes, und sie fallen sehr häufig, deren Zielpunkt in der 
Regel der verehrte Abgeordnete ist, der mir soeben den Rücken kehrt (auf 
den Abgeordneten Dr. Windthorst deutend). Ich glaube, meine Herren, Sie 
sollten sich dessen doch auch enthalten und der wahrhaft kaiserlichen Worte 
eingedenk sein, welche unser erhabener Monarch bei der Ueberreichung der 
Adresse gesprochen hat — Worte, die Alle sich zu Herzen nehmen sollen, die 
urtheilen wollen über Solche, welche aus der Herrschaft eines Landesherrn in 
die Herrschaft eines andern Landesherrn übergegangen sind. (Bravo! im 
Centrum.) Der Herr Abgeordnete Miquel hat dann auch noch weiter gesagt — 
ich überspringe mancherlei —, der § 15 habe der katholischen Kirche 
eine privilegirte Stellung gegeben, und er hat das zu tadeln gefunden. Der 
Auedruck „privilegirt“ ist nicht richtig gegriffen, wenn er, wie ich mich dessen 
bestimmt erinnere, gebraucht worden ist; die katholische Kirche hat kein Priri- 
legium, sie erfreut sich nur des gemeinen Rechtes, des Rechts des § 15. 
Aber das ist richtig: vermöge ihrer fertigen Organisation hat sie that sächlich 
von diesem ihr ebenso wie der evangelischen Kirche gegebenen Rechte einen 
ausgiebigeren und besseren Gebrauch machen können und auch bieher wirklich 
gemacht. Wir aber, meine Herren, gönnen Ihnen, — und glauben Sie mir 
das — von ganzem Herzen gönnen wir Ihnen, und zwar schon in unserem 
eigenen Interesse, schon aus Klugheit gönnen wir eine gleiche Selbstständig- 
keit, eine gleiche Unabhängigkeit der evangelischen Kirche, wie wir sie für die 
katholische besitzen. Denn wenn sie dieselbe haben, dann gewinnen wir ja 
schon dadurch, daß der Neid, die Eifersucht oder wie ich es sonst nennen 
soll, worunter wir so viel zu leiden haben, endlich aufhört. Auch der Herr 
Abgeordnete Miquel hat wieder auf den Zwiespalt iim katholischen Lager hin- 
gewiesen. Er hat früher einmal im Abgeordnetenhause gesagt, es war am 
16. Januar 1871, er sei überzeugt — doch ich will es lieber wörtlich ver- 
lesen, um ja keine Irrthümer zu begehen —; er sagte so: „Wir haben das Ver- 
trauen, daß diese schädlichen Bestrebungen, die nach meiner Meinung ebenso- 
wohl der katholischen Kirche“ — für die er natürlich sehr besorgt ist — 
„als dem Deutschen Staate schädlich sind — daß diese ultramontanen und
	        
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