998 I. Session des deutschen Reichstages.
sei, ob es vielleicht sogar seinem Untergang entgegengehe, daß man die Kirche
in England in Betreff ihrer Angelegenheit frei schalten und walten läßt.
Gehen Sie nach Holland, das Land der Oranier. Ich glaube, dieses Wort
allein schließt schon Alles in sich. Holland läßt die katholische Kirche eben-
sowohl frei schalten nach dem Infallibilitätsdogma wie vor der Proklamirung
dieses Dogmas. Meine Herren, nehmen Sie sich boch ein Exempel an den
Staatsmännern solcher Länder! Diese letzteren finden sich nicht schlecht da-
bei, und damit, glanbe ich, fällt denn auch alles das zusammen, was man
immer von der Ungeheuerlichkeit unserer Pläne und Bestrebungen sagt. Ich
muß Ihnen gestehen, wenn ich die Reden höre, welche gegen die Klerikalen
losgelassen werden, so bin ich mitunter in Versuchung mich selbst zu befühlen,
ob ich denn der Mann bin, von dem die Herren sprechen, ob ich ein so
staatsgefährliches Individuum bin, das den Staat Preußen auf Gott weiß
welche Klippe treibt oder treiben hilft. (Heiterkeit.) Ich versichere Sic, die
Sache hat fast einen komischen Beigeschmack für mich. Der Herr Abgeord-
nete — leider muß ich zum Schluß eilen — hat uns dann endlich noch ge-
sagt: „wir sollten den § 15 haben, aber nicht so für sich allein, sondern
umgeben von organischen Gesetzen“. Meine Herren, timeo Danaos et dona
lerentes! (Heiterkeit. Bravo! Sehr richtig)) Das Wort „organische
Gesetze“ hat einen sehr unheimlichen Anklang an die organischen Artikel, wie
sie Napoleon I. auf der Höhe seines Despotismus gegenüber dem Konkordat
einseitig dekretirt hat. Mir scheint, Sic denken auch an etwas Aehnliches,
(Heiterkeit) obgleich Sie sonst doch den Napoleonismus in Frankreich als
etwas Verabscheuungswürdiges betrachten. Aber, meine Herren, glauben Sie
mir, der napolconische Despotismus gipfelte gerade in der Religionsverfol-
gung u## Einkerkerung des Papstes; was aber für Früchte daraus erwachsen
sind, das weiß die Weltgeschichte. Mit organischen Artikeln à lu Napoleon I.
und mit Religionsedikten, wie man sie auch in Baiern gemacht hat, um
doch wenigstens der Kirche so viel Handschellen und Fußblöcke anzuhängen,
als nur immer die Umstände gestatteten, mit solchen Sachen kommen Sie
une nicht, sonst sind Sie jedenfalls nicht Männer der Freiheit! (Beifall im
Centrum.) Ueberhauxt, meine Herren, glaube ich Ihnen sagen zu dürfen,
wie ich bemerke, daß wie sehr auch das Beispiel Frankreichs als ein warnen-
des vor Ihnen steht, Sie doch unbewußt sehr geneigt sind, diesem Beispiel
zu folgen in der Centralisirung, in der Gesetzgebung, in der Regulirung aller
Verhältnisse von oben herab, in Ihren Anschauungen über den modernen
Staat und die modernen Ideen, über die cidvilisatorische Höhe des Jahr-
hunderts und was des alles mehr ist. Meine Herren, so oft schlagen
Aeußerungen an mein Ohr, die mich ganz an dasjenige erinnern, was ich
in den liberalen Journalen Frankreichs von jeher gelesen habe und was Frank-
reich in den Abgrund geführt hat. (Bravo im Centrum.)