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ähnlicher Antrag ist bei Berathung der Verfassung des Norddeutschen Bundes
bereits ron uns eingebracht und damals mit geringer Majorität abgelehnt.
Wir haben trotzdem geglaubt, die Hoffnung zu haben, daß diesmal der An-
trag die Billigung des Hauses finden wird, weil die Lage der Dinge in der
Zwischenzeit sich erheblich verändert hat und geradezu ein praktisches Bedürf-
niß schon mehrfach an uns herangetreten ist dem Antrage zu entsprechen.
Es ist bei Gelegenheit des Antrages der Herren Abgeordneten Twesten und
Münster von einigen Mitgliedern des Bundesraths darauf hingewiesen, es
sei doch nicht rathsam, fortwährend an der Verfassung zu rütteln, namentlich
nicht rathsam, die Kompetenz des Reichstages fortwährend auszudehnen, es
bringe das einen Zustand von Unsicherheit, Unbehaglichkeit und Mißtrauen
in die Einzelstaaten, welcher den Zwecken des Bundes in keiner Weise förder-
lich sei. Insofern dieser Einwand bedeutet, daß man nicht unnöthig an
der Verfassung ändern soll, daß man allerdings, wo nicht eine dringende
Nothwendigkeit einer Verfassungsänderung vorliegt, die Verfassung unange-
tastet lassen soll, — insofern der Einwand dies bedeutet, stimme ich ihm
bei. Wenn aber der Einwand bedeutet, daß man lediglich mit Rücksicht auf
vermeintliche, übrigens nicht einmal wahre, Interessen der Einzelstaaten wirk-
liche Bedürfnisse der Nation unbefriedigt lassen soll, weil die Verfassung,
die im Jahre 1867 berathen ist, die Kompetenz dazu nicht gewähre, so
müssen wir einen solchen Einwand zurückweisen. Uns steht als Reichstag zu,
die Gesammtinteressen zu vertreten, und wir glauben, daß, was namentlich
den vorliegenden Antrag betrifft, die Gesammtinteressen in vollständiger Har-
monic mit den Einzelinteressen stehen; — ich werde das nachher noch näher
ausführen. Daß der Reichstag seinerseits kompetent ist, eine Erweiterung
seiner eigenen Kompetenz zu beschließen, und daß wir darauf die Initiative
haben uneingeschränkt, das werde ich vorläufig als feststehend annehmen, so
lange bis in dieser Beziehung ein Widerspruch erfolgt. Ich kann das umso-
mehr thun, als bis jetzt, wie die Erfahrung uns gezeigt hat, der Bundesrath
seinerseits diesen Standpunkt auch eingenommen hat. Nirgends giebt die
Bundesverfassung, welche allerdings eine wahre Verfassung ist — insofern
weiche ich ab von der Ausicht, die hier ausgesprochen wurde seitens des Herrn
Grafen Münster — welche zwar aus einem Vertrag ursprünglich hervorge-
gegangen, jetzt aber eine wahre Verfassung ist, und die also aus sich solbst
erklärt werden muß — nirgends giebt die Verfassung irgend eine Schranke
in Beziehung auf das Recht des Bundesraths und des Reichstages, ohne
Rekurs zu nehmen auf die Einzelstaaten die Kompetenz ganz beliebig aus-
zudehnen; vielmehr bestimmt der Artikel 5 ganz ausdrücklich allgemein, daß
die Bundesgesetzgebung in der Hand des Bundesraths und des Reichstags
liegt, und es wird im Artikel 78 bestimmt, daß Verfassungsäuderungen im
Wege der Bundesgesetzgebung, nur in der Weise erfolgen, daß dazu eine
ZJweidrittel-Majorität im Bundesrath nothwendig sei. Irgend eine Schranke,
wieweit sich die Verfassungsänderungen und die Gesetzgebung behufs der
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