Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1044 1869. Art. 4 Zif. 13. 
Verfassungsänderungen ausdehnen dürfen, ist in der Verfassung nirgends gegeben. 
Wo aber das Gesetz nicht unterscheidet, soll ruch der Interpret nicht unter- 
scheiden; das ist einer der ersten Grundsätze der Auslegungskunst, welchen 
selbst der Kollege Windthorst nicht bestreiten wird. Aber auch ganz abge- 
sehen von diesen ganz klaren Worten der Verfassung ergiebt sich aus den 
Berathungen und den Anträgen, die bei Gelegenhcit der Berathung der 
Verfassung gestellt sind, ganz unwiderleglich, daß dies der Sinn der Ver- 
fassung ist. Ich selbst habe bei der Berathung der Versassung in der General= 
diskussion es unwidersprochen als einen Hauptvorzug dieser Verfassung be- 
zeichnet, daß sie sich aus sich selber entwickeln könne; ich habe hervorgehoben, 
daß dadurch die Norddeutsche Bundesverfassung einen wesentlichen Vorzug 
habe vor den Verfassungen fast aller anderen Bundesstaaten, daß wir nicht 
nöthig haben, in Zukunft, wenn das Bedürfniß der Nation eine Erweiterung 
dringend erfordere, an einen Gewaltstreich zu appelliren, daß wir auf fried- 
lichem, gesetzlichem Wege nunmehr, und ohne eine Schranke zu finden an 
der Souverainetät der Einzelstaaten, die Verfassung ausdehnen können. Mein 
Freund Lasker hat den Antrag gestellt, (da in dem ursprünglichen Entwurf 
der Verfassung des Norddeutschen Bundes gesagt war, daß Verfassungs- 
änderungen durch den Bundesrath mit Zweidrittel-Majorität beschlossen wer- 
den könnten, — um den Zweifel auszuschließen, daß bei Verfassungsände- 
rungen nicht der Bundesrath allein kompetent sein soll) der jetzt nun im 
Artikel 78 ein Theil der Norddeutschen Bundesverfassung geworden ist, nach 
welchem die Veränderungen der Verfassung im Wege der Gesetzgebung er- 
folgen sollten. Es ist bei dieser Gelegenheit die hier in Betracht kommende 
Frage ausdrücklich behandelt. Der Herr Antragsteller hat den Antrag gerade 
in dem Sinne gestellt, daß klar gestellt werden sollc, es könne die Verfassung 
des Norddeutschen Bundes aus sich selbst erweitert werden durch Beschluß von 
Reichstag und Bundesrath, und zweitens, daß dem Reichstage die Initiatire 
in Verfassungsänderungen zustehe, wie die Initiatire dem Reichstage ganz 
allgemein bei allen Gesetzesvorschlägen eingeräumt ist. Gerade in diesem 
Sinne hat der Antragsteller den Antrag motivirt, und in diesem Sinne ist 
der Antrag vom Reichstage angenommen. Ja, noch mehr: ich hatte bei 
Gelegenheit der Berathung der Bundes-Verfassung meinerseits den Antrag 
gestellt, daß ohne Aenderung der Verfassung bestimmte einzelne Einrichtungen 
im Wege der Gesetzgebung getroffen werden könnten, auch dann, wenn sie 
nicht ausdrücklich unter die allgemeinen Normativsätze der Verfassungskom- 
petenz der Norddeutschen Bundes-Verfassung fielen. Der Antrag ist damals 
abgelehnt, und zwar, wie sämmtliche Redner, auch der damalige Vertreter 
des Bundesraths, Legationsrath Hofmann, ausdrücklich erklärten, weil es 
nicht erforderlich sei, weil man ja im Wege der Gesetzgebung alle diejenigen 
Einrichtungen, auch wenn sie nicht ausdrücklich unter den Artikel 4 der 
Bundesrerfassung fielen, treffen könne. Es kann hiernach gar keinem Zwei- 
fel unterliegen, daß Wort und Sinn der Verfassung vollkommen klar sind,
	        
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