Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Miquel. 1045 
und daß wir berechtigt sind, wie auch der Bundesrath bisher in seinem eig- 
nen Verhalten es angenommen hat — ich erinnere nur noch jetzt neuerdings 
an den Antrag wegen Einrichtung eines Ober-Handelsgerichtshofes — berechtigt 
sind, die Kompetenz auszudehnen mittels Zweidrittel-Majorität des Bundes- 
raths und einfacher Majorität des Reichstags. Eine Gefahr für die einzel- 
nen Staaten kann darin auch gar nicht liegen, die einzelnen Staaten finden 
ja ihren Schutz an der Zweidrittel-Majorität des Bundesraths. Das ist die 
Garantie, die den einzelnen Staaten gegeben ist, daß auch ihre Interessen 
in Betracht kommen, während allerdings vorzugsweise die Aufgabe des Reichs- 
tages sein wird, die Interessen ausschließlich der Gesammtheit zu vertreten. 
Formelle Bedenken also werden dem Antrage nicht entgegenstehen. — Es liegt 
mir nun ob, den Antrag materiell zu rechtfertigen, ich muß aber zuvor, ehe 
ich auf die materielle Rechtfertigung des Antrages eingehe, ein Bedenken, 
welches mir in Priratgesprächen vielfach aufgestoßen ist, hinwegräumen. 
Vielfach hat es mir geschienen aus Privatgesprächen verschiedener Kollegen, 
als wenn sie glaubten, durch Uebertragung der Kompetenz auf die Nord- 
deutsche Bundesverfassung werde die Gesetzgebung der Einzelstaaten in Be- 
ziehung auf das bürgerliche Recht vollständig lahm gelegt, es werden die 
Einzelstaaten nicht mehr im Stande sein, einzelne Materien des bürgerlichen 
Rechts oder gar eine Gesammtkodifikation vorzunehmen. Es ist das nun 
offenbar irrig, denn Alles, was zur Kompetenz des Norddeutschen Bundes 
steht, soll nicht der Kompetenz der Einzelstaaten entzogen werden, sondern 
die Einzelstaaten bleiben berechtigt, auch diejenigen Materien der bürgerlichen 
Gesetzgebung zu behandeln, welche zugleich behandelt werden können im Wege 
der Gesetzgebung von den verfassungsmäßigen Organen des Norddeutschen 
Bundes. Es wird also durch die Annahme meines Antrages die Gesetzge- 
bung der Einzelstaaten in keiner Weise lahm gelegt. Man hat zweitens ge- 
sagt, wenn das bürgerliche Recht einheitlich geordnet wird, so ist damit der 
Einheitsstaat proklamirt und es widerspricht das offenbar doch dem Geiste 
der Verfassung. Meine Herren, Preußen ist unzweifelhaft ein Einheitsstaat, 
und zwar kann man wohl sagen, der schärfsten Art, centralisirter vielleicht 
als nöthig wäre; Preußen hat aber drei verschiedene Rechtssysteme, das ge- 
meine Recht, das Allgemeine Landrecht und den code Napoléon. Hannover 
war unzweifelhaft ein Einheitsstaat und wie jeder kleine Staat ein bureau- 
kratisch centralisirter, in Hannover gilt in einigen Theilen und zwar in 
einigen sehr erheblichen, das Landrecht, in andern Theilen das gemeine Recht. 
Daß also die Verschiedenartigkeit des bürgerlichen Rechts verträglich 
ist mit dem Einheitsstaat, wird Niemand bestreiten können. Andererseits 
aber, meine Herren, das heilige Römische Reich Deutscher Nation, welches 
im Jahre 1806 zu Grunde ging, war gewiß kein Einheitsstaat, es hatte aber 
ein einheitliches Civilrecht, wenn auch nur ein auf Gewohnheit und Wissenschaft 
beruhendes. Man sieht deutlich, die Frage wegen der Einheitlichkeit des Pri- 
vatrechts hängt mit der Frage nach der Souveränetät, mit dem Staaterecht,
	        
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