Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1046 1869. Art. 4 Ziff. 13. 
mit dem Kirchenrecht und der einheitlichen Ordnung dieser Materien durch- 
aus nicht nothwendig zusammen. Das allerdings gebe ich zu und hierin 
liegt die wesentliche Begründung meines Antrags: ein Einzelstaat kann ohne 
nationales Recht auf die Dauer nicht bestehen. Meine Herren, das nationale 
Leben, das Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit setzt voraus, daß die 
Nation begriffen hat, daß das Priratrecht untheilbar ist, daß man nicht ein 
einzelnes Stück der Gesammtheit einräumen kann und dem Grundsatze nach 
sehr wesentliche und das wichtigste Stück des Rechtslebens ausschließlich den 
Gliedern überlassen darf; das werde ich Ihnen näher zeigen und ich glaube, 
es wird sich daun finden, daß die Uebertragung des Gesetzgebungsrechtes in 
Beziehung auf dieses ungetbeilte bürgerliche Recht nicht bloß im Interesse 
der Gesammtheit der Nation sondern ebensowohl im Interesse der einzelnen 
Staaten liegt. Werfen wir einen Blick auf den heutigen Zustand der Dinge 
in Deutschland in Beziehung auf das Privatrecht. Wir können in dieser 
Beziehung drei große Rechtsgruppen unterscheiden, diejenige Gruppe, in welcher 
das gemeine Recht gilt, diejenige Gruppe, in der das Landrecht gilt, und 
diejenige Gruxpe, in der das Französische Recht gilt. Ich wende mich zuerst 
kurz zu der Lage des Rechtes und seiner wissenschaftlichen Behandlung in 
denjenigen Theilen Deutschlands, in denen das gemeine Recht gilt. Wir seben 
da, daß der Wissenschaft und der Entwickelung der Institutionen es gelungen 
ist, den bis dahin unvermittelten Gegensatz zwischen dem Römischen Recht 
und den Resten des Deutschen Rechtslebens, dem Deutschen Priratrecht mehr 
und mehr auszugleichen, daß es der Rechtswissenschaft gelungen ist, beide 
Rechtssysteme harmonisch in einander zu verschmelzen, daß dadurch die Mäg- 
lichkeit jetzt gegeben ist, ein einheitliches Recht, wissenschaftlich dargestellt, im 
Bewußtsein des Volkes ruhend, zu kodifiziren. Wir sehen, daß das ge- 
meine Recht, bis dahin unkodifizirt, lediglich auf Gewohuhcit beruhend, den 
unaufhörlichen Einflüssen der Entwickelung des bürgerlichen Lebens ausgesetzt, 
viel mehr als das kodifizirte Recht des Landrechts und des Clode Napoléon 
sich entwickelt hat mit den Fortschritten und den Veränderungen, die das 
bürgerliche Leben selbst erlitten, daß es der Wissenschaft gelungen ist, bier 
viel mehr den neuen Entwickelungen, die Handel und Industrie hervorriefen, 
gerecht zu werden. Wir werden also nach meiner Meinung auf der Grund- 
lage des wissenschaftlich am meisten ausgebildeten und den Bedürfnissen des 
gegenwärtigen Lebens am meisten entsprecheuden gemeinen Rechts am ersten 
zur Kodifikation kommen. Was das Landrecht betrifft, so wird Jeder zugeben, 
daß die Kodifikation des Landrechts zu der Größe Preußens außerordentlich 
beigetragen hat (Hört!), Jeder wird zugeben, daß das Landrecht damals ein 
außerordentlicher Fortschritt war, Niemand aber wird verkennen, daß das Land- 
recht in seiner — wenn ich mich so ausdrücken darf ohne die Preußischen 
Juristen zu choquiren — Erstarrung hinter den Forrschritten der Wissenschaft, 
hinter den Bedürfnissen des bürgerlichen Lebens zurückgeblieben ist, Jeder 
wird zugeben, daß das Landrecht einen kardinalen Fehler (der vorzugsweise
	        
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