Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Migquel. 1047 
dem Preußischen Rechtsleben und der Preußischen Bureaukratie eigen ist) 
eines bürgerlichen Gesetzbuchs hat, den Kardinalfehler einer viel zu großen 
Spezialisirung, Jeder wird zugeben, daß mit dem Landrecht kaum eine wissen- 
schaftliche Behandlung und ein wissenschaftlicher Aufschwung in dem Rechts- 
leben möglich ist — das hat auch die Erfahrung bewiesen. — Daß also das 
Landrecht, hervorgegangen aus den damaligen Rechteanschauungen, heut nicht 
mehr genügt, einer wesentlichen Umgestaltung bedarf, daß das Landrecht bei 
einer Kodifikation zwar als sehr nützliches Material aber nicht als einzige 
und entscheidende Grundlage behandelt werden darf und kann, das glaube 
ich muß Jeder ingeben. Was nun das Französische Recht betrifft, so bin 
ich zwar durchdrungen davon, daß der Code Napoléon, namentlich was die 
Vorm betrifft, außerordentliche Vorzüge hat, ich enthalte mich aber einer 
weiteren Ausführung darüber, daß sehr wesentliche Grundlagen des Code 
Napelkon, sei es durch die heutige Entwickelung längst überwunden, sei es 
niemals für unser Deutsches Rechtsgefühl und unser Rechtsleben gepaßt haben. 
Unsere Aufgabe ist also unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch mehr als 
bei irgend einer anderen Nation, diese verschiedenen Rechtssysteme zu ver- 
schmelzen und sie in einem gemeinsamen Rechtsbuch, einem Deutschen Rechts- 
buch der Nation zugänglich zu machen. Meine Herren, ich denke gar nicht 
daran, daß dies von heute auf morgen statthaben könnte, ich denke gar nicht 
daran, daß es unsere Aufgabe wäre, praktisch ohne Weiteres an die Kodi- 
fikation zu gehen. Ich bin davon durchdrungen, daß das schließliche Ziel 
vielleicht noch 10 bis 20 Jahre auf sich warten läßt; ich verlange nur, daß 
die Gesammtrertretung der Nation sich die Aufgabe stellen soll, daß sie 
sich berechtigt erklärt, nach diesem hohen Ziele der Rechtseinheit zu streben. 
Ich verlange eine Vollmacht für den Bundesrath und den Reichstag die 
Rechtseinheit zu schaffen. Ob wir das zZiel schließlich durch eine große Ko- 
difikation erreichen, oder ob wir dem Ziel wie bieher allmälig näher zu 
kommen suchen dadurch, daß wir nach und nach einzelne Theile 
des Rechtslebens kodifiziren, das wird die Zukunft lehren. Beides ist aber 
nur möglich, wenn wir die Kompetenz dazu in Händen haben. Die kleinen 
Staaten in Deutschland, meine Herren, werden sich das doch sagen müssen, 
daß sie außer Stande sind, diese große Aufgabe zu lösen. Daß man in 
einem kleinen Staate das bürgerliche Recht nicht kodifiziren kann, und daß, 
wenn es geschähe, es das größte Unglück wäre für die Bevölkerung der Ein- 
zelstaaten und für Deutschland, das brauche ich nicht auszuführen. Die Einzel- 
staaten verlieren nichts durch meinen Antrag, sie konnen durch ihn nur ge- 
winnen; er allein giebt ihnen die Möglichkeit, auf die Gestaltung des Deut- 
schen Rechtsbuches der Zukunft auch ihrerseits einzuwirken. Der Partikularis- 
mus der Einzelstaaten also wird, vernünftig betrachtet, durch unsern Antrag 
gar nicht berührt. Eher könnte sich der Prcußische Partikulariemus sträuben, 
meine Herren. Daß wir in Preußen werden — wenn der Norddeutsche Bund 
die Aufgabe sich nicht stellt — die Aufgabe erfassen müssen, daß die verschie-
	        
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