Zehmen. 1067
etwas ängstlich gewesen bin, in die Verhältnisse des bürgerlichen Rechtes
durch die Gesetzgebung eingreifen zu wollen. Kein Mensch kann beurtheilen,
wie weit ein solcher Eingriff die Rechtsverhältnisse der Einzelnen trifft,
wie tief er die Vermögens-WVerhältnisse der Cinzelnen berührt, und
ich möchte glauben, daß auch die Herren Unterzeichner des heute uns vor-
liegenden Antrages durchaus nicht die Pflicht übernehmen werden, Ersatz
zu leisten für die Vermögensrerletzungen, die sie vielleicht durch denselben
berbeiführen werden. Wenn wir tabula rasa hätten, wie ungefähr am
Rbein nach der Französischen Rerolution, ja meine Herren, dann wäre es
sehr leicht, ein gemeinsames Deutsches Recht herzustellen; und es wäre eine
ganz selbstverständliche Sache, daß ein solches für das ganze Gebiet, um das es
fich handeln würde, eingeführt werde, und ebenso eine gleichmäßige Gerichts-
organisation. Im historisch gewordenen und gewachsenen Staate macht sich
die Sache nicht so leicht; dort ist man genöthigt, den Rock nach dem Mann
zu schneiden und nicht den Mann nach dem Rocke, und die Herren Antrag-
steller scheinen mir doch auch mit ihrem Antrage eigentlich etwas den Mann
nach dem Rocke schneiden zu wollen ohne Rücksicht auf die gegebenen Ver-
hältnisse. Soll ich mich überhaupt für ein gemeinsames Deutsches Recht
erwärmen, meine Herren, so gestehe ich ganz aufrichtig: ich will nicht ein
gemeinsames Deutsches Recht bloß bis an die Wasser= und Kohlenstation auf
dem Thüringer Walde, wie es der Abgeordnete Miquel einmal nannte: soll
ich mich für ein gemeinsames Deutsches Recht erwärmen, so will ich kein
Deutsches Recht bis an die Mainlinie. Es liegt ja auf der Hand, meine
Herren, daß wir durch Schaffung eines Deutschen bürgerlichen Rechts für den
Norddeutschen Bund diese Mainlinie gegenüber den süddeutschen Staaten nur
noch schärfer markiren, daß wir sie sogar fast in die Unmöglichkeit versetzen
würden, auf friedlichem Wege sich künftig mit uns zu vereinigen, weil durch
ihren Eintritt in den Bund, wenn sie ihn wünschen sollten, sie gleichzeitig
genöthigt sein würden, ihre sämmtlichen häuslichen Verhältnisse umzustürzen,
sie würden sich dann, wenn das bürgerliche Recht Bundesgesetzgebungssache ge-
worden ist, auch den in bürgerlichen Rechtsbeziehungen erlassenen Gesetzen ohne
weiteres zu fügen haben und bei der sehr bedeutenden Verschiedenheit des
bürgerlichen Rechts gerade in den süddeutschen Staaten und dem bürgerlichen
Recht, wie es sich in den Norddeutschen Staaten ausgebildet hat, würde
ihnen ein Uebertritt in den Norddeutschen Bund unter allen Unständen da-
durch wesentlich erschwert, keinesfalls erleichtert. Jetzt steht nun überhaupt
im Norddeutschen Bunde — ich will mich allein auf diesen beschränken —
die Sache so: im preußischen Staate gilt also zunächst der Code Napoléon
am Rhein, es gilt das gemeine Deutsche Recht in sehr zurückgedrängtem Verhält-
nisse, es gilt das Preußische Landrecht, außerdem auch noch im Norddeutschen
Bunde das hinzugekommene Sächsische Recht. Der Preußische Staat hat seit
50 Jahren nicht gewollt oder nicht gekonnt, die verschiedenen bürgerlichen
Rechte, die in seinem eigenen Staate vorhanden sind, auszugleichen. Wie
ich gehört habe find verschiedene Versuche gemacht worden, aber stets an dem