Lasker. Bähr. 1107
Befugniß des Bundes erheben, so ist es wahrhaftig eine übertreibende und
durch nichts motivirte Anschuldigung, wenn man sagt, das heiße den na-
tionalen Boden verleugnen, das heiße die Vertragstreue aufheben. Das
mag ein Herr, der hier im Unwillen rielen Zorn gesammelt hat über
Dinge, die sein partikularistisches Gefühl verletzen, — der mag im Zorne Der-
artiges aussprechen, aber daß er ein Unrecht begangen und daß der Eindruck
einer solchen Rede ganz das Gegentheil von dem hervorbringen muß, was
er herbeizuführen gewünscht, das wird bei ruhiger Ueberlegung der Herr Ab-
geordnete von Zehmen sich selbst sagen. (Bravol) Deshalb, meine Herren,
gehen wir nicht in Zweifel auseinander! Es wäre mir viel lieber gewesen,
wenn von Seiten der Gegner ein direkter Antrag auf Tagesordnung einge-
gebracht worden wäre, um heute noch die Entscheidung herbeizuführen.
Gehen wir aber nicht auf den Rath des Herrn Abgeordneten Windthorst
ein, der sagt: ich habe die Sache angezweifelt, ich habe es zum ersten Male
im Reichstage gethan, und weil ich zum ersten Male mit Unwillen empfangen
worden bin, deswegen erwarte ich, daß Sie heute diesen Unwillen aufgeben,
daß Sie meinen Zweifel anerkennen und für jetzt die Sache unentschieden
lassen. Ihm zauliebe soll die Deutsche Nation nicht wissen, was dem Bunde
zusteht, und was ihm nicht zusteht: ihm zuliebe soll die Deutsche Nation
nicht wissen, ob für ihre gemeinsamen inneren Rechtsgefühle auch die ge-
meinsame äußere Form des Gesetzes gefunden werden könne! Ich hoffe und
wünsche, daß die große Majorität des Reichstages dies Ansinnen zurückweisen
und auch die Beschuldigung gegen uns als eine falsche erklären wird. (Leb-
haftes Bravo.)
Bei der Abstimmung wurde geschäftsordnungsmäßig beschlossen, daß
der Antrag an eine Kommission nicht verwiesen werde’).
In der 29. Sitzung vom 28. April 1869 hatte die zweite Berathung“)
über den Antrag Migquel-Lasker Statt.
Abgeordneter Dr. Bähr aus Berlin (Kassel-Melsungen)): Meine
Herren! Ich habe mir das Wort in dieser Sache erbeten, weil ich glaube
in Betreff der Formfrage, welche uns bei der ersten Berathung beschäftigt
hat, vielleicht ein Geringes noch zur Klarstellung beitragen zu können. Die
Herren Abgeordneten Windthorst und Wagener (Neustettin) haben die An-
sicht vertreten, es könnte eine Verfassungsänderung, wie die vorliegende,
welche eine Erweiterung der Bundeßgesetzgebung bezwecke, nur stattfinden
durch neue Vereinbarung seitens der Bundesländer, Regierungen und Landes-
*) Si. B. S. 470 l. o.
5*#) St. B. S. 647 l. o.
*)SESt. B. S. 647 l. o.
Materialien III. 70