1208 1868. Art. 32. Diäten.
Jenen, die wesentlich unter diesem Factum die Verfassung angenommen haben,
haben wir widerholt gehört, daß diese Verfassung der Ausbildung fähig sei,
und das ist ja denn natürlich auch gar nicht zu verkennen. Diese Auebil-
dung, wenn sie in dem volksmäßigen Sinne geschehen soll, in dem Sinne.
welchen die liberale Meinung — dieses Wort im weitesten Umfange ge-
nommen — in Deutschland repräsentirt, — wenn sie in diesem Sinne ge-
schehen soll, so muß sie natürlich mit dem Reichstage anfangen. Es ist
eine Ausbildung der Verfassung nicht möglich, wenn nicht in dem Reichs-
tage selbst das Organ repräsentirt ist, was geeignet sein kann, um die Volks-
wünsche in Ansehung der Verfassung zur Geltung zu bringen. Nun, meine
Herren, stoßen wir hier auf den Punkt der Construction des Reichstages,
auf das Wahlrecht, und es ist schon ein in den Motiven unseres Antrages
hervorgehobener sehr merkwürdiger Umstand, daß Anfangs die Mehrheit
dieses Hauses — allerdings mit lebhaftem Widerspruch einer sehr großen
Minorität — den Vorschlag der Regierung in dem Verfassungsentwurfe
nicht annahm, daß derselbe aber lediglich und allein unter dem Eindruck der
Erklärung, die Sache wird sonst nicht zu Stande kommen, demnächst doch
in der Schlußberatbung so angenommen ist, wie er sich nun befindet, näm-
lich als ein Prohibitiv-Gesetz, daß irgend eine Entschädigung nicht gegeben
werden solle. Nicht einmal das wurde freigelassen, daß in der künftigen
Gesetzgebung etwas Anderes bestimmt werden könnte, es- wurde dies der
künftigen Gesetzgebung nicht überlassen. Es wurde der Antrag, der damals
von den Herren von Thünen und Weber gestellt war, und welcher dem
Beschluß in der Vorberathung zu Grunde lag, noch viel weniger acreptirt,
sondern es wurde das reine Prohibitiv-Gesetz, wie es in dem uasprünglichen
Plane lag, ausgesprochen. Ich habe mich nun vergeblich nach irgendwie
erheblichen Gründen umgesehen, die, sei es nun von Seiten des Bundes-
raths oder sei es von den Mitgliedern dieser Versammlung, aus einem wirk-
lichen Principe eine solche Maßregel rechtfertigen könnten; dergleichen sind in
der That nicht vorgekommen, ich möchte denn dahin dasjenige rechnen, was
der Herr Abgcordnete für Neustettin in Ansehung der Selbst-Verwaltung
auseinandergesetzt hat. Er meinte, die Selbst-Verwaltung wäre auch hier
im Hanfe, und wie in der Gemeinde Unentgeltlichkeit gelte, so müsse sie
auch hier im Reichstage sein. Meine Herren, die vollkommene Verschieden-
heit dieser beiden Sachen liegt wohl auf flacher Hand, denn in der Gemcinde
ist Jeder an dem Orte, wo er sich befindet, und es ist kein besonderes
Opfer, was er bringt, wenn er als Stadtverordneter, Gemeinderath oder
Magistrats-Mitglied fungirt. Und was man hier „Selbstrerwaltung“ nennt,
beruht nicht etwa in der Nicht-Vergütung von Entschädigungskosten — die
ja häufig an z. B. Magistrats-Mitglieder gegeben werden — sondern wesent-
lich darin, daß die Verwaltung der Gemeinde nicht abhängig ist von dem
Einflusse von Oben, sondern daß sie selbstständig über ihre eigenen Ange-
legenheiten befindet und beschließt. Meine Herrcn, wie hat das in irgend