Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Schulze. 1219 
heit, meine Herren; man verdeckt den Census, man schiebt thatsächliche Ver- 
hältnisse vor, um eine wirkliche Rechtsungleichheit hinsichtlich des passiven 
Wahlrechts zu konstituiren, die man sich scheut direkt auszusprechen. (Sebr 
richtig: links.) Wenn Sie, meine Herren, (nach rechts) das einmal wollen, 
— warum denn nicht? es läßt sich ja für alle solche Dinge ein Stand- 
punkt finden — ich verstehe das, was Sie dabei wollen, vollkommen; es lassen 
sich staatliche Raisons für Alles finden — aber dann sprechen Sie es gerade 
aus: „wir wollen einen Census für die Wählbarkeit“ und sagen Sie nicht: 
„wir wollen das allgemeine gleiche direkte Wahlrecht, aber die Diäten weg, 
damit ein Theil der zu Wählenden außer Stand gesetzt werde, Wahlen dieser 
Art anzunehmen!“ (Sehr richtig: links.) Das ist eine innere Unwahrheit 
und ich wünschte im Interesse dieses Hauses und jeder Partei, daß sie in 
dieser großen Frage vermieden würde. Ja, meine Herren, Sie haben nun 
vom Standpunkte einer gewissen persönlichen Noblesse, vom Standpunkte der 
persönlichen Unabhängigkeit in wirthschaftlicher Hinsicht die vorliegende Frage 
ventilirt, und sie läßt sich ja von dieser Seite ventiliren; aber Sie haben 
Eins dabei nicht bedacht, worauf ich jetzt zurückkommen will. Was hat uns 
denn zu unserm ganzen konstitutionellen Leben verholfen? Sehen Sie doch auf 
den Entwicklungsgang der Dinge bei uns! Kommen diese Konzessionen frei 
von oben oder verdanken sie nicht vielmehr einer großen Volksbewegung von 
unten ihr Entstehen? Ich meine, wie man sich auch anstellt, man wird doch 
wohl das Letztere zugestehen müssen. Denn Manches ist geschehen in den 
früheren mangelhaften Vertretungen, die wir in den Provinzial-Landständen 
hatten, von muthigen, tüchtigen Männern, die schon damals den Blick des 
Volkes auf sich zogen, — Manches ist geschehen, Konzessionen auf andere Art 
zu erringen; aber es blieb erst der Bewegung von 1848, — die Sie niemals 
in der Geschichte, die Sie niemals im Rechtsbewußtsein unseres Volkes 
herunterziehen können, Sie mögen Gründe bringen wie Sie wollen — es 
blieb erst dieser Bewegung vorbehalten zu bewirken, daß wir da sind, wo 
wir jetzt stehen, und ohne sie hätten wir Nichts, hätten wir nicht einmal die 
Anfänge unseres konstitutionellen Lebens!' Und deswegen werden Sie sich 
entschließen müssen, dem mittleren Bürgerstande, dem Arbeiterstande — denn 
um die handelt es sich bei diesen Dingen zunächst und zumeist — die Konzession 
zu machen, Männern aus ihrer Mitte die äußere thatsächliche Möglichkeit zu 
geben, um Mandate anzunehmen, die ihnen das freie Vertrauen ihrer 
Wähler entgegenträgt. Mit der Noblesse, mit einer äußeren Lage, vermöge 
deren man nicht für seine Erxistenz zu arbeiten braucht, ist das nicht gemacht. 
Sie wollen einen Regulator haben — mögen Sie es nun in ihren Deduktionen 
offen hervortreten lassen oder nicht, es fühlt das doch Jeder heraus — Sie 
wollen einen Regulator haben, damit das allgemeine gleiche direkte Wahl- 
recht Ihnen nicht Elemente zuführe, die wie ich gar nicht bestreiten will 
nach redlicher Ueberzengung der geehrten Mitglieder auf dieser Seite des 
Hauses (rechts) verderblich für den Staat sein könnten. Und, meine Herren, 
Materialien III. 77
	        
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