Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Wagener. 1223 
Wagener (Neu-Stettin)): Meine Herren! Ich bedauere, daß das 
geehrte Mitglied, das eben diese Stelle verlassen, sich gemüßigt gefunden hat 
das Ansehen dieser Versammlung in den Schatten zu stellen, gegenüber den 
Bestrebungen und Verhandlungen in einem Nachbarlande, von denen er be- 
hauptet hat, daß sich das Interesse der Nation — ich weiß nicht, was er 
unter diesem Begriff alles begreift — bereits dorthin gewendet und diese 
Versammlung so zu sagen in den Skat gelegt hätte. Meine Herren, Sie 
scheinen die Zeitungen nur halb zu lesen, denn sonst würden Sie gelesen 
haben, daß die Süddeutschen Freunde, die sich nach diesem Nachbarlande 
wenden, zugleich Ihnen das Todesurtheil gesprochen haben, daß diese selben 
Freunde gesagt haben, die Herren, die jetzt vor uns diesen Antrag gestellt 
haben, müssen vor allen Dingen abgethan werden, wenn aus der Freiheit in 
Preußen etwas werden solle; man hat gerade nicht das geehrte Mitglied 
namentlich genannt, welches vor mir an dieser Stelle stand (Heiterkeit), man 
hat aber dafür den Antragsteller genannt. Der Mann, mit dessen Antrag 
wir uns hier beschäftigen, der ist als der bezeichnet, der erst von der Führung 
der Freiheitspartei beseitigt werden müsse, ehe überhaupt von einer freiheit- 
lichen Entwickelung die Rede sein könnte. Meine Herren, setzen Sie sich 
selbst mit diesen Ihren Freunden auseinander. Wir werden glaube ich mit 
unserm Nachbarstaate die Konkurrenz sehr leicht und sehr gut aushalten. 
Nun, meine Herren, Sie haben uns den Vorwurf gemacht, daß wir bis da- 
hin eigentlich keine Gründe gegen Ihren Antrag vorgebracht hätten. Nach 
meiner parlamentarischen Erfahrung ist es sonst üblich gewesen, daß die An- 
tragsteller zuerst Gründe für ihren Antrag beigebracht hätten, und mit allem 
Respekt vor dem Herrn Antragsteller muß ich bedauern auch nicht einen 
einzigen nur scheinbaren neuen Grund — wenn er auch nur aufgewärmt 
gewesen wäre, — gehört zu haben (Heiterkeit), auch nicht cinmal einen aufge- 
wärmtien Grund hat er vor uns geltend gemacht, und meine Herren, sehr 
viel geistreicher und sehr viel inhaltsreicher war auch die sehr emxhatische 
Deduktion nicht, die wir hier von dem Herrn Abgeordneten für Berlin zu- 
letzt vernommen haben. Er hat uns besonders den Vorwurf gemacht, meine 
Herren, als bewegten wir uns mit unserem Widerstande gegen die Diäten 
in einer Unwahrheit gegenüber dem allgemeinen Wahlrecht, und er hat 
dabei versichert, daß er und seine Freunde das allgemeine direkte Wahlrecht 
hauptsächlich um deshalb wollten, um damit den Sozialismus zu bekämpfen. 
Wie es scheint hat der geehrte Abgeordnete nicht gemerkt, daß er sich mit 
seiner Deduktion bereits auf dem Boden des Sozialismus befindet. Denn 
Sozialismus ist nichts anderes — wenigstens wie er jetzt geschichtlich und 
thatsächlich gegen uns auftritt — Sozialismus ist nichts anderet als der 
Anspruch eine rechtlich vorhandene Gleichheit durch Staatsmittel 
auch thatsächlich hergestellt zu sehen. Das ist Sozialismus. Die Sozia- 
*) St. B. S. 53 l. u.
	        
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