Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Wedemeyer. 1229 
Auf Antrag die Diskussion über S 1 des Antrags geschlossen') und die 
Diskussion über § 2 eröffnet. 
von Wedemeyer (Arnswalde-Friedeberg)““): Meine Herren! Ich habe 
mich gegen den § 2 zum Wort gemeldet, weil er ureiner Meinung nach nicht 
allein ein falsches Prinzip aufstellt, sondern auch dies Prinzip in seinem zwei- 
ten Alinca noch falsch anwendet. Ich halte es für grundsätzlich falsch, einer 
Volksvertretung Diäten zu geben, und muß dabei, um das nachzuweisen, 
etwas näher auf die Natur der Diäten eingehen. Was ist Diäte? — 
Meine Herren, ist es ein Tagelohn? Ich glaube, das Wesen den Tagelöhners 
ist, daß er seine Arbeit für einen bestimmten Lohn verkauft, um dadurch die 
Mittel seiner Existenz zu gewinnen; ich glaube nicht, daß wir diese Stellung 
in Anspruch nehmen wollen. Ich glaube, wir haben Alle das Bewußtsein, 
Opfer zu bringen, nicht, unsere Arbeit gegen ein genügendes Aequivalent zu 
verkaufen. Es ist ferner gesagt worden, die Diäte soll Entschädigung ge- 
währen für gebrachte Opfer. Ja, meine Herren, köunen Sie für alle Stände 
eine gleiche Entschädigung formiren!? Das ist entschieden falsch! Drei 
Thaler Diäten sind für Kiolbassa und Geuessen keine Entschädigung für 
Opfer sondern eine weit über das Maß derselben hinaus gehende Zuwen- 
dung. Können Sie dagegen Jemand mit 3 Thaler Diäten entschädigen, der 
zu Hause das Zehufache versäumt durch seine Abwesenheit? Nein, meine 
Herren, das können Sie nicht! Sie wollen eine Rechtsgleichheit ctabliren, 
und Sie etabliren mit der Festsetzung eines gleichen Satzes für Alle die 
allergrößte Ungleichheit, und darin liegt das falsche Prinzip. Sie wollen 
gleichen Wind und Soune herstellen, und Sie stellen es viel ungleicher her, 
als es mit der Diätenfreiheit der Fall ist; deun Demjenigen, der zu Hause 
viel versäumt, konunt der Aufenthalt hier sehr viel billiger, wenn wir keine 
Diäten haben und dafür etwas kürzere Zeit tagen. Denn das ist die un- 
auebleibliche Folge der Diäteufreiheit, daß die Sessionen kürzer werden. 
Ich bin fest überzeugt, hätten wir so lange, als wir eine Vollsvertretung 
haben, auch die Diäteufreiheit, der Parlamentarismus würde sich viel ge- 
sunder entwickelt haben; es würden nicht Anträge au das Bundeskanzleramt 
nöthig sein, zu verhindern, daß gleichzeitig audere Körperschaften mit uns 
tagten. Denn, was sollen solche Anträge bewirken? Ich traue dem Herrn 
Bundeskanzler alle möglichen Fähigkeiten zu, aber die Fähigkeit Zeit vom 
Himmel zu schneiden hat er nicht. Denken Sie einmal gefälligst zurück: 
was ist in dieser Zeit nicht alles geleistet? Getagt haben wir Reichstag, ge- 
tagt haben wir Landtag, getagt worden ist Provinziallandtag, getagt ist 
immerzu. Meine Herren, das einzige Mittel diese ewige Tagerei ab- 
zukürzen, ist Diätenlosigkeit, uud wenn diese in allen Versammlungen 
allgemein wird, daun werden wir ganz andere Versammlungen haben, es 
werden alle darauf denken, die Sache abzukürzen und sachgemäß zu ver- 
Et. B. S. 86 . o. 
) St. B. S. 56 l. g. o.
	        
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