1256 18369. Art. 332. Diäten.
Dr. v. Schweitzer (Elberfeld-Barmen)): Meine Herren! Wenn auch ich
wünsche, die Diäten eingeführt zu sehen, so ist dies in der That weniger
aus praktischen Gründen der Fall als aus prinzipiellen Gründen. Ich
sage, es sind nicht praktische Gründe, die mich leiten; denn in dieser Be-
ziehung müßte ich mich zunächst fragen, ob ich denn glaube, daß die Partei,
zu der ich gehöre, stärker vertreten sein werde in diesem Hause, wenn Diäten
bestehen. Ich habe zu der Partei, zu der ich gehöre, das Vertrauen, daß
sie es jederzeit möglich machen wird, daß die von ihr gewählten Abgcordne-
ten hier erscheinen, und ich glaube das von jeder Partei, die Thatkraft und
Ausdauer für ihre Zwecke hat. Ich glaube deswegen Ihnen auch die an-
genehme Hoffnung in Aussicht stellen zu können, daß im nächsten Reichstage
zwanzig oder dreißig Sozialisten auch ohne Diäten unter Ihnen Platz neh-
men. (Heiterkeit). Wen schließen Sie denn eigentlich aus durch die Diäten=
losigkit Sie schließen lediglich den Mittelmann aus, den ruhigen Bürger,
der eben durch sein Geschäft gerade sein Auskommen hat und der nicht gut
abkommen kann ohne einen Ersatz; diesem Manne machen Sie es unmöglich,
in der Versammlung hier zu erscheinen, aber die Extreme der Gesellschaft
halten Sie nicht fern! Der reiche Mann kann sein Geld ausgeben in Berlin
so gut wie wo anders, und Derjenige, der Nichts hat, kann in Berlin so gut
Nichts haben wie in seiner Heimath (Heiterkeit und Unruhe rechts). Bei alle-
dem bin ich für die Bewilligung von Diäten aus prinzipiellen Gründen; denn
meine Herren, der Zweck dieses Hauses ist doch, daß wir mit politischem
Verständniß und ehrlichem Willen gemeinsame Angelegenheiten berathen
sollen. Nun frage ich Sie: sind denn diese Eigenschaften das Monopol be-
stimmter Gesellschaftsklassen! Der Zweck der Diätenlosigkeit, gleichviel, ob
sie diesen Zweck erreicht oder nicht, der ausgesprochene Zweck der Diäten-
losigkeit ist, ein Gegengewicht zu sein gegen das allgemeine Stimmrecht; es
soll im Gegensatz zu der demokratischen Einrichtung des allgemeinen Stimm-
rechts ein reaktionäres Gegengewicht sein; das ist offen ausgesprochen wor-
den. Die Regierungen ihrerseits beweisen dadurch, daß sie nicht in Wirk-
lichkeit auf die Gesammtheit des Volkes sich stützen wollen, daß sie das nur
zum Schein thun wollen; die Regierungen beweisen, daß sie sich nur auf
die besitzenden und privilegirten Stände stützen wollen. Und Diejenigen in
diesem Hause, welche dieser Ansicht zustimmen, welche die Diätenlosigkeit auf-
recht erhalten wollen und sich dadurch den Gründen der Regierungen an-
schließen, — diese Herren erklären eben einfach Patriotismus und politisches
Verständniß für das Monopol der besitzenden und bevorzugten Stände.
Meine Herren! Das ist einfach ein Umrecht, ein Unrecht, welches Sie be-
gehen gegen die große Masse des Volkes und welches Sie nicht länger be-
gehen dürfen! Sie haben nicht das Recht die Armuth zu beleidigen, und
Sie beleidigen die Armuth, indem Sie ihr absprechen — deun das liegt in
*) St. B. S. 938 l. g. 2.