1266 1871. Art. 78.
eine Interpretation geben koͤnnte, welche auf Grund des vorliegenden Alinea
1 dahin gelangte, die Kompetenz des Norddeutschen Bundes bei Verfassungs-
veränderungen auszuschließen, welche Kompetenzerweiterungen betreffen, dann,
meine Herren, würde die nämliche Interpretation oder die nämliche Methode
sehr leicht dahin kommen, das liberum veto in alle Fugen der gegenwärti-
gen Verfassung zu treiben. Meine Herren, wir haben hier Alle heute merk-
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würdige Interpretati thoden gerade nach der erweiternden Seite hin
kennen gelennt. Man hat auf Grund des Wortes „Vercinswesen“ gemeint
das ganze Verhältniß des Staats zu der mächtigsten und umfassendsten
Korporation, die jemals die Geschichte gekaunt hat, regeln zu können. Mit
der nämlichen erweiternden Interpretation, die man heute hier vorgeführt
hat, behaupte ich kann man mit dem Alinea 2 des Artikels 78 Alles mög-
lich machen zum Schaden der Gesammtentwickelung des Reiches. In diesem
Angenblicke, meine Herren, besteht keine Neigung, nicht dem Kaiser zu geben,
was des Kaisers ist. Wir sind aber doch keineswegs versichert, daß unter
allen politischen Kombinationen, unter allen Möglichkeiten, die uns die Zukunft
geben wird, stets und innner der nämliche gute Wille herrschen wird. Dar-
um scheint es mir auf jeden Fall nothwendig, daß wir volle Klarheit über
das Alinea 2 des Artikels 78 schaffen. Ich gestehe gern, daß für mich selbst
in Bezug auf diesen Artikel 78 Klarheit herrscht, und das, was ich darüber
denkc, das habe ich in jenem Amendement niedergelegt, welches Ihnen ge-
druckt vor Augen liegt. Mir scheint, daß Folgendes klar ist. Die Be-
stimmung, wie sie hier im Alinea 2 niedergelegt ist, ist lediglich in denjeni-
gen Verträgen festgestellt worden, die mit den Süddentschen Staaten festge-
setzt worden sind. Es ist also ganz offenbar, daß sich auf dies Alinea 2 nur
diejenigen Staaten berufen können, mit welchen die betreffenden Verträge ab-
geschlossen sind, daß sich also nur darauf berufen kaun Baiern, Würtemberg,
Baden; Hessen kann es wegen des zweiten Gesichtspunktes nicht. Mir scheint
nämlich, meine Herren, an zweiter Stelle klar zu sein, daß dieses Alinea 2
nur bezogen werden kann auf diejenigen Gegenstände, welche im Tenor der
Norddeutschen Verfassung nicht enthalten sind. Kein durch die Norddeutsche
Verfassung geregeltes Verhältuiß kann jemals versucht werden bezogen zu
werden unter dieses Alinea 2. Gerade diesenigen Verhältnisse und diejenigen
bestimmten Rechte, welche gegen den Tenor der Norddeutschen Ver-
fassung unter den hier formulirten Begriff fallen können, sind es, die ich
in dem vorliegenden von mir gestellten Antrage festgestellt habe. Ich schlage
Ihnen also vor, die Personen bestimmt zu nennen, welche sich auf dieses
Alinea 2 berufen dürfen, die Gegenstände bestimmt zu bezeichnen, welche
nach der Abweichung der gegenwärtigen Verfassung von dem Tenor der
norddeutschen Verfassung überhaupt unter den in diesem Alinea formulirten
Begriff gezogen werden können. Nach dem Allen empfehle ich Ihnen die
Annahme meines Antrages. Wenn ich Sie in der letzten Stunde damit
etwas länger aufgehalten habe, so wird mich jedenfalls die Wichtigkeit der
Sache entschuldigen. Ich werde auf jeden Fall das Prinzip aufrecht