Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Historische Einleitung. 115 
haben die Parteien seit Jahren gestritten, wie das Vaterland geeinigt, wie 
seine Neugestaltung gefördert werden sollte. Man hat viel darüber gestritten, 
ob die österreichischen Deutschen auch bei uns eine Stelle finden dürften, 
müßten, ob nicht. Darüber habe ich Niemand streiten hören, ob in einem 
deutschen Bunde Baiem sein soll. Meine Herren! Solche Erwägungen und 
die fest begründete Ueberzeugung, daß, wie ich bereits zu bemerken die Ehre 
gehabt habe, jetzt die Zeit sei, um mit Wahrung aller berechtigten Inter- 
essen das Ziel zu erreichen, das wir früher oder später erreichen mußten, 
diese Ueberzeugung hat die bayerische Staatsregierung zu der von mir bereits 
erwähnten Initiatire veranlaßt. Auch wenn Sie nüchterner als wir es ge- 
than haben, die Lage der Dinge betrachten, werden Sie zu dem Schlusse 
kemmen, daß die Stellung, welche wir eingenommen haben, die allein richtige 
war, und daß wir auf dem rechten Wege gewesen sind. Betrachten Sie die 
Lage der Dinge mit dem nüchternsten und kältesten Blicke, so werden Sie, 
auch wenn es allen Ihren Empfindungen widerspricht, zu dem Schlusse 
kemmen, daß Bayern gezwungen war, den Versuch einer Neugestaltung 
Deutschlands zu machen, sa, daß es in einer Zwangslage war. Nicht als 
ob ren Seite der deutschen Großmacht, mit der wir transigirt haben, irgend 
ein ZJwang geübt worden wäre. Nein! Auch mit den Behauptungen über 
diesen Punkt im norddeutschen Parlamente hat es seine Richtigkeit. In den 
levalsten Worten hat man uns zu wiederholten Malen bestätigt, wir würden 
ren keiner Seite einen Zwang zur Eröffnung und Weiterführung der Ver- 
bandlungen über die Neugestaltung Deutschlands zu erleiden haben, ja nicht 
einmal Vorschläge hat man uns gemacht, um, wie es in den betreffenden 
Ereffnungen heißt, nicht unsere Empfindungen zu verletzen. Schätzen Sie 
diese Loyalität so gering, als Ihnen gut dünkt, indem Sie sagen, man wußte 
auch von der andern Seite, wie weit die Möglichkeit reichte, in Baiern 
eine rollständig isolirte Stellung zu bewahren, so steht doch die Thatsache 
fest, daß man einen Zwang nicht geübt hat. Und dennoch waren wir ge- 
zungen, mit dem nerddeutschen Bunde in Verhandlungen einzutreten, denn 
wir wußten mit Bestimmtheit, daß, wenn Baiern auch nicht dem Bunde 
sich anschließt, dieses von Seite Würtembergs, Badens und Hessens doch 
geschehen würde. Und mit diesem Augenblicke war für uns, mindestens für 
eine unserer schönsten Provinzen die Möglichkeit einer gedeihlichen Existenz 
außerhalb des Bundes ein für allemal beseitigt. Ich denke mir, auf wirth- 
schaftlichem Gebiete wäre in kürzester Zeit auch für das übrige Deutschland 
die Unmöglichkeit einer isolirten Eristenz eingetreten. Sie wissen, in welchem 
Maße wir des Zollvereins bedürfen. Mindestens und spätestens die Zeit, 
in welcher die Zollvereinsverträge zu erneuem gewesen wären, würde uns die 
Nethwendigkeit, ohne Bedingung dem Bunde beizutreten, auferlegt haben. 
In diesem Sinne spreche ich von einer Zwangslage Baierns. Meine 
Heren! Die Sibyllinischen Bücher sind ein abgedroschenes Beispiel und doch 
hote ich in meinem Leben keinen Fall gesehen, in welchem die Moral der 
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