Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

124 Historische Einleitung. 
König Ludwig ll. von Bayern hatte nämlich die Initiative ergriffen 
und ein eigenhändiges Schreiben an die übrigen Fürsten gerichtet, um auf 
dieses Ziel gemeinsam bin zuwirken'). Nachdem sich sämmtliche Fürsten und 
freien Städte dem Antrage angeschlossen hatten, erfolgte die Einwilligung 
des Königs von Preußen dahin, daß verläufig ein diesbezüglicher Gesetzent- 
wurf dem Norddeutschen Reichstage vorgelegt werde, was am 9. December 
1870 geschah. Am folgenden Tage bereits wurde dieser Entwurf vom Nord- 
deutschen Reichstage angenommen. Zugleich wurde eine Adresse an den 
König von Preußen beschlossen, in welcher auch seitens des Norddeutschen 
Reichstages an den König die Bitte gestellt wurde, durch Annahme der 
Deutschen Kaiserwürde das Einigungswerk zu weihen. 
Die Adresse wurde beschlußgemäß von einer Deputation am 28. De- 
zember 1871 überreicht). 
Endlich, unter dem 14., beziehungsweise 17. Januar ließ der König von 
Preußen den deutschen Fürsten und freien Städten die Mittheilung 
zugehen, wic er es für eine ihm gegen das gemeinsame Vaterland obliegende 
Pflicht halte, dem an ihn ergangenen Rufe zur Herstellung der Kaiserwürde 
Folge zu leisten. 
„Ich nehme (so ist der Wortlaut der Erklärung) die Deutsche 
„Kaiserwürde an, nicht im Sinne der Machtansprüche, für deren 
*) Der Wortlaut des vom 3. oder 4. Dec. 1870 datirenden königlichen Schreibens 
ist: „Die von Preußens Heldenkönige siegreich geführten deutschen Stämme, in Sprache 
und Sitte, Wissenschaft und Kunst seit Jahrhunderten vereint, feiern nunmehr auch eine 
Waffenbrüderschaft, welche von der Machtstellung eincs vereinigten Deutschlauds glän- 
zeudes Zeugniß giebt. Beseelt von dem Strrben an dieser werdenden Einigung Deutsch- 
lands nach Kräften mitzuwirken, habe ich nicht gesäumt, deßhalb mit dem Bundes- 
kauzleramte des nordd. Bundes in Verhandlungen zu treten. Dieselben find jüngst in 
Versailles zum Abschlufse gediehen. Nach dem Beitritte Süddeutschlands zum deutschen 
Verfassungedündnisse werden die Sr. Majestät dem Könige von Preußen übertragenen 
Präsidialrechte über alle deutsche Staaten sich erstreckeu. Ich habe mich zu deren Ver- 
einigung in Einer Hand in der Ueberzeugung bereit erklärt, daß dadurch den Gesammt- 
interessen des deutschen Vaterlandes und seiner verbündeten Fürsten entsprochen werde, 
zugleich aber in dem Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium nach der Verfassung zu- 
steheuden Rechte durch Wiederherstellung eines deutschen Reiches und der 
deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, welche S. Maj. d. König von 
Preußen im Namen des gesammten deutschen Vaterlandes auf Grund der Einigung 
seiner Fürsten ausübt. In Würdigung der Wichtigkeit dieser Sache wende ich mich an 
den Fürsten 2c mit dem Vorschlage, in Gemeinschaft mit mir bei Sr. Majestät dem 
Könige von Preußen in Anregung zu briugen, daß die Ausübung der Bundespräfidial- 
rechte mit Einführung des Titels eines „deutschen Kaisers“ verbunden werde. Es 
ist mir ein erhebender Gedanke, daß ich mich durch meine Stellung in Deutschland und 
durch die Geschichte meines Landes berufen fühlen kann, zur Krönung des deutschen 
Einigungswerkes den erften Schritt zu tbun. und gebe mich der freudigen Hoffnung hin, 
daß Enere .. meinem Vorgehen Ihre freundlichke Zustimmung ertheilen werden.“ 
Europäischer Geschichtskalender v. Schultheß, 1870 S. 129. 
"7) Das Nähere hierüber s. unten unter „Schluß der II. außerordentlichen Session 
des Nordd. R. T. von 1870."
	        
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