142 1870. Vertraͤge.
doch nicht, wir werden ihn schließlich mit allen Mängeln annehmen müssen?
In eine solche Vosition kann sich eine große parlamentarische Körperschaft
nicht drängen lassen angesichts der wesentlichsten Veränderungen der Grund-
verfassung des Staates, dessen Volk sic zu vertreten hat. Sollen wir ver-
bandeln wie über Handelsverträge, über diese ungeheuer wichtigen Verände-
rungen der jetzigen Verfassung, die sie entschieden zu einer neuen machen,
mit ganz anderem Character, mit vorwaltend föderativer Tendenz, wie der
Herr Präsident des Bundeskanzleramts mit Recht andeutete? In eine solche
Position sollen wir in diesen Dingen uns bringen lassen, meine Herren,
ohne unser Vollwort dazu zu geben, ohne die einzelnen Punkte zu kritisiren
und zu amendiren und so wahrzimehmen, was im Interesse des Volkes wahr-
zunehmen uns dringend geboten erscheint? Nein, meine Herren, das ist keine
Stellung, die der Würde eines großen parlamentarischen Körpers entspricht,
und das ist keine Stellung, meine Herren, die der Würde und dem Interesse
der Nation entspricht, für die wir hier eintreten sollen. Bei der Feststellung
der Fundamente ihres staatlichen Lebens — da darf ihr nicht das Vollwort
thatsächlich abgeschnitten werden, welches in diesen Räumen über solche Fra-
gen erschallen muß, wei wir uns nicht selbst anfgeben. Und — frage ich
weiter: — Drängt denn wirklich die ganze politische Sitmation uns in solche
Bahnen hinein? Haben wir denn gar keine Zeit zu einer besonnenen Erwä-
gung dessen, was in diesen großen Fragen noththut? Der Krieg, so hören
wir, naht einem gedeihlichen Ende; aber wie schwer auch die Kämpfe noch
sein mögen, — und wir wollen sie wahrlich nicht unterschätzen von unserer
Seite aus — für den Krieg, meine Herren, ist in Bezug auf die Mitwir-
kung der süddeutschen Staaten in den Bündnissen gesorgt! Sie sehen ja aus
den Vorlagen, und Sie haben es wiederbolt von dem Herm Bundeskanzler-
amts-Präsidenten gehört: für den Krieg sollen die Abmachungen noch gar
nicht gelten und können sie auch nicht gelten, — das erkenne ich vollständig
an; sie können erst in späterer Friedenszeit überhaupxt in Anwendung kommen.
Also mit dem Drange des Krieges müssen Sie uns diese Hast, diese Ueber-
stürzung bei Berathung einer großen, auf Jahrzebnte, auf Jahrhunderte
meinetwegen, wenn Sie wollen, binaus augelegten Verfassung nicht motivi-
ren; so liegt die Sache wahrhaftig nicht. Die Fürsten mit ihren Interessen,
deren Wahrnehmung ja ganz berechtigt ron ihrer Seite ist, haben Monate
lang, wie wir wissen und hören, über diese Dinge gehandelt. Ueber Alles,
was ihnen angemessen erschien, oft über die minntiösesten Fragen, ist ein
großer diplomatischer Verkehr hin und ber eingetreten. Und nun die Ab-
machungen der Fürsten, die doch wesentlich auf die Wahrnehmung dynasti-
scher Interessen binansgelaufen sind, (Zustimmung) nun diese Dinge an uns
berautreten, und durch uns an das Volk, da sollen wir nicht eiumal wenige
Wochen haben, um sie in die ernsteste Erwägung und Berathung zu ziehen?
Meine Herren, die Feststellung von Verfassungen, das ist eine Friedensarbeit
die nach vollendeten Kämpfen zumal an die Nationen herantritt, zu der gebe