Generaldebatte Schulze. 143
man uns doch ja Zeit! Finden Sie in der Geschichte der Entstehung von
Verfassungen civilisirter Völker irgendwo einen ähnlichen Vorgong, daß man
die Volksrertreter auf wenige Wochen herangerufen hätte, und sie drängt,
mit Ja und Nein über diese Dinge zu entscheiden und das Vaterland dadurch
vielleicht in eine Lage zu bringen, aus der es später ohne große Katastrophen
niemals wieder herausgebracht werden kann? Ich kenne keinen solchen Vor-
gang, wie er uns zugemuthet wird, in der Geschichte civilisirter Nationen.
(inke Sehr richtig!) Nun, meine Herren, wenn ich weitergehe in der Sache,
so komme ich noch auf ein anderes Motiv, das namentlich in der Presse von
verschiedener Seite, andeutungsweise auch von dem Herrn Präsidenten des
Bundeskanzleramts, geltend gemacht worden ist und dem wir einmal recht
ins Gesicht sehen müssen. Man sagt uns, die Eile sei dadurch geboten,
daß mur in dieser ersten frischen Strömung großer Kriegserfolge, in der da-
kunh herbeigeführten Erregung des Nationalgefühls etwas Derartiges, wie
es uns geboten ist, zu erreichen sei; warten wir damit, lassen wir das
Velk erkalten, so setzen wir alsdann gar nichts durch; und wenn die Dinge
auch durch das jetzt Erreichbare nicht in die Lage kommen, in der wir sie
zu sehen wünschen, wenn wir vieles höchst Bedenkliche mit hineinnehmen
müssen — was sogar der Herr Präsident des Bundeskanzleramts anerkannte
— mun, so wird sich ja das später, wenn wir nur erst einmal hier ruhig
msammen sind, gewiß irgend wie wieder in einen andern Gang bringen
lassen. Ja, meine Herren, das ist zunächst das traurigste Armuthszeugniß,
was man für den Aufschwung des nationalen Gefühls in Deutschland auf-
stellen kann; (Sehr wahr!) aber zunächst enthält es doch einen ungebeuren
Biderspruch. Von der einen Seite sagt man uns: nur jetzt ist überhaupt
ewas zu machen; selbst das Wenige, was vorliegt, ist nur jetzt in der ersten
Enegung des nationalen Gefühls, wo dieses am kräftigsten und stärksten
wirkt, durchzusetzen, später gar nichts! Und indem man uns zugesteht, daß
das Gebotene höchst unvollkommen sei, und es dabei nicht bleiben könnte,
sendern daß dasselbe weiter entwickelt werden müßte, sagt man uns, daß dies
sräter erfolgen solle, wo nach der ersten Deduktion die ganze Flamme
des nationalen Aufschwungs ausgelöscht ist, und man gar nichts mehr er-
balten kann. Auf diese spätere Zeit verweist man uns also, um Besseres zu
erbalten, von der die Herren erst behauptet haben, daß gar Nichts zu er-
richen sei. Ein großartiger Widerspruch, und kann ich einen solchen Stand-
Funkt absolut in keiner Weise theilen. Mir scheint, daß die Herren, die
diesen Standpunkt vertreten, eine gewisse homöopathische Behandlung des
Partikularismus beabsichtigen, allein daß sie die Dosis zu stark greifen; und
es ist eine bekannte Lehre der Homöcpathie, daß zu starke Dosen nicht wir-
ken. Nein, meine Herren, so heilt man den Partikularismus nicht, wenn
man ihm das Schild des Veto durch diese Vorlagen ertheilt, des Veto,
srezielle Angelegenheiten irgend eines Volksstammes zu gemeinsamen zu er-
klüren, selbst wenn das Gesammtinteresse der Nation das erfordert. Wenn