Generaldebatte. Windthorst. 163
der Regierungen hervorgehen könnte. Wenn wir dieses Oberhaus nicht be-
kommen, und zwar jetzt nicht bekommen so ist es unzweifelhaft, daß wir
folgendes erleben werden: Die Centralgewalt mit dem einen Hause, aus di-
rekten Wahlen herrorgegangen, wird in die Nothwendigkeit gebracht, all-
mählich die vorhandenen einzelnen Staaten zu zerreiben. Meine Herren, ich
babe diesem Mühlenprozeß in den vier Jahren hier beigewohnt; ich mache
Niemandem einen Vorwurf darüber, er liegt in der Natur der Dinge; wenn
diese Zerreibung der kleineren Staaten erfolgt ist — und sie wird erfolgen,
trotz aller der Fuchsgräben, die dagegen zu legen versucht sind und die Sie
so sehr beklagen — dann, meine Herren, geht die Reibung zwischen der
Centralgewalt und diesem einen Hause an und aus dieser Reibung wird
schließlich der Absolutismus oder die Republik unzweifelhaft hervorgehen.
(Mehrfacher Ruf: Bravo. sehr richtig!) Also, meine Herren, ich verlange
absolut und nothwendig das Oberhaus. Für das Volkshaus verlange ich —
natürlich, wenn das erste Desiderium erfüllt ist — die Herstellung von Diä-
en. (Sehr richtig!) Meine Herren, bei der Vermögenstheilung, die in
Deutschland stattfindct, die insbesondere auch in Süddeutschland stattfindet,
rielleicht noch mehr als in Norddeutschland, ist es auf die Dauer unmöglich,
ein ordentliches Volkshaus ohne Diäten zu haben (Hört! Beifall auf der
Linken und im Centrum), und die Staatemänner, welche glauben, daß sie
mit ihrem Nein, was sie bisher hingestellt haben, dieser Anforderung auf
die Dauer sich entziehen können, sind sehr kurzsichtig, kurzsichtiger als meine
Augen. Ich habe die Ueberzeugung, daß diese Forderung immer von neuem
gestellt werden wird, daß wir sie endlich durchdringen sehen, und wenn Sie
dam nicht bei Zeifen für das Aequivalent des Oberhauses gesorgt haben,
se wird das, was ich geschildert habe, unzweifelhaft und um so rascher cin-
neten. Endlich, meine Herren, verlange ich für eine ordentliche Verfassung
ein Bundesgericht (Beifall.) zum Schutze des verfassungsmäßigen Rechts, und
se lange ich das nicht bekomme, habe ich keine Verfassung. Ich könnte aus
den Verbandlungen der letzten Tage sehr ernste Betrachtungen gerade an
dieses Kapitel knüpfen, (Ruf: sehr richtig!) ich unterlasse es aber, um nicht
die Aufmerksamkeit von den hochwichtigen Fragen abzulenken, die hier vor-
liegen. Meine Herren, alle diese Desiderien sind unbefriedigt, das föderative
Prinzip, was angeblich gestärkt worden, ist nicht gestärkt, die für dasselbe
aufgerichteten Barrieren werden hinweggeräumt werden, die einheitliche Volks-
rertretung wird darüber leichten Schrittes hinweggehen. Wenn man einmal
das Prinzip hinstellt, daß die Einzelstaaten und ihre Legislative untergeord-
nat seien der Zusammenstimmung des Bundesrathes und des einheitlichen
Velkshauses, so werden alle aufgestellten Barrieren sehr bald verschwinden
wie Spreu. Deshalb ist das föderative Prinzip nicht gewahrt; es ist viel-
mehr bedroht in dem Momente, wo man die Kompetenzerweiterung eben in
die Legislative der Bundesgewalten legt und wo man nicht bei jeder Kom-
petenzerweiterung den Vertrag für nöthig erklärt, Da, in der Vertragonoth=
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