Generaldebatte. Bebel. 185
As am 25. Juli der König von Preußen Berlin verließ und nach dem
Kriegsschauplatze abging, erließ er in einem Briefe eine Erklärung, worin
ct dem deutschen Volke versprach, daß er gegenüber der Treuc, die das
deutsche Volk ihm in dieser schweren Zeit entgegenbringe, mit gleicher Treuc
augegenkommen wolle, und daß aus diesem Kriege und in Anbetracht der
Opfer, die das Volk zu bringen habe, die freiheitliche und einheitliche Ge-
staltung Deutschlands als die Frucht dieser Ereignisse hervorgehen solle. Es
ist nothwendig, einmal zu untersuchen, inwieweit dieses Versprechen durch die
ans vorgelegte Verfassung gehalten worden ist. Die Verfassung, die uns
chen vorliegt, ist in der Hauptsache die alte Norddeutsche Bundesverfassung.
D#ß diese Verfassung in freiheitlicher Beziehung uns gar keine Garantien
bictet, das ist nicht allein von unserer Seite, sondern selbst von anderen Sei-
ten des Hauses, die keineswegs auf unserem Standpunkte stehen, zu verschie-
denen Malen klar ausgeführt und bewiesen worden. Es ist keine Minister-
verantwortlichkeit vorhanden. Daß die Verantwortlichkeit des Bundcskanzlers
abselut nichts zu bedeuten hat, dafür haben wir ja erst in der letzten Sonn-
abendsitzung aus dem Munde des Herrn Präsidenten des Bundeskanzler-
Amtes den schlagendsten Veweis erhalten, als er ausführte, das die Unter-
zeichuung jener bekannten Verordnungen wegen Proklamirung des Kriegs-
zustandes in Norddeutschland für den Bundeskanzler nicht verbindlich seien,
daß der absolut nicht in Dinge sich einzumischen habe, die nur Seine Ma-
jestät den König von Preußen angingen, der als oberster Kriegsherr aus-
schließlich darüber zu gebieten habe. Also die Ministerverantwortlichkeit ist
in der Verfassung nirgends vorhanden; die Grundrechte sind bei der Bera-
thung der Verfassung im Jahre 1867 ebenfalls abgelehnt worden. Der
eiseme Militairetat ist gleichfalls kein solcher, der auch nur im geringsten
einer Verminderung der materiellen Lasten Rechnung trägt. Das Budget-
rcht in der Norddeutschen Verfassung ist nicht minder auf das Aeußerste be-
schrinkt, so gut wie gar nicht vorhanden. Dem Reichstage steht absolut
kein Recht zu, irgend wie über die Einnahmen und Ausgaben zu verfügen,
und es wird Ihnen ein solches Recht auch in Zukunft nicht zustehen, da ja
alle diese Bestimmungen der Verfassung vor wie nach aufrecht erhalten sind.
Mso, meine Herren, in freihcitlicher Beziehung ist in der setzigen Bundes-
rafassung nicht das Allermindeste geändert worden; sie ist wörtlich ja in
allen Punkten ganz dieselbe, die sie früher war. Sie ist aber in freiheit-
licher Beziehung nicht allein nicht verbessert, sondern sie ist meiner festen
Ueberzeugung nach verschlechtert worden, und zwar dadurch, daß man in Ar-
tilel 4 der Bundesverfassung als neuen Gegenstand der Kompetenz des künf-
ligen Deutschen Bundes noch die Bestimmungen über die Presse und das
Vereinswesen den übrigen Gegenständen zugesellte. Meine Herren, mein
Glaube an den Liberalismus des Nerddeutschen Reichstages und des künfti-
gen Deutschen Reichstages ist ein außerordentlich schwacher. Nach den Er-
sahrungen, die wir seit Jahren auf diesem Gebicte gemacht haben, unterliegt