Generaldebatte. Wagener. 191
zu rerleiden. Meine Herren, ich glaube auch nicht, daß diesenigen Herren
Reckt baben, die gesterm die Verträge kritisiren, indem sie uns zu verstehen
gaben: Ja, wenn man nur das Deutsche Volk könnte zum Sprechen bringen,
das würde ctwas Anderes gemacht haben, aber da kommen immer die Deut-
schen Fürsten, die gönnen uns das bischen Einheit nicht. Meine Herren,
daben Sie wirklich ein so kurzes Gedächtniß, haben Sie wirklich heute schon
vergessen, wer in Baiern die GEinheit gemacht hat, ob der Fürst oder ob
die Volksrertretung? (Sehr richtig!)) Meine Herren, lassen Sie uus nicht
undankbar sein, lassen Sie uns nicht vergessen, was wir den Fürsten ver-
danken, und lassen Sie uns nicht immer wieder die Tonart spielen, als ob
wir bier verhandelten mit entgegenstelenden Interessen und Bestrebungen der
gürsten und Völker. Meine Herren, das erhabene und befriedigende Schau-
jpiel, das jetzt vor Deutschland sich entwickelt, das ist eben die Einheit seiner
zürsten und Völker, und ich glanbe, es giebt wohl kein besseres Bekenntniß
der Völker zu ihren Fürsten, als was jetzt die deutsche Nation ablegt, indem
sie den Fürsten alle ihre Kinder, — ihre Brüder und Söhne — zur Ver-
fügung stellt. Meine Herren, es ist uns dann der Vorwurf gemacht worden,
als gebörte diese Versammlung zu denjcnigen, die eigentlich gar nicht mehr
mit dem Rechte, sondern nur noch mit den Thatsachen rechneten. Meine
Herren, es ist ja leider umgekehrt der Fall. Man müßte die deutsche Natur
nicht kennen, um nicht immer wieder das Schauspiel vor Augen zu haben,
daß der Deutsche viel zu philosophisch und zu prinzipiell, viel zu theoretisch
und konstitutionell ist, um nicht sofort selbst an das welterschütterndste Er-
eigniß mit dem Maßstabe seines Systems oder seiner Parteitendenz heran-
zutreten und sobald sie auf diesen Leisten nicht passen, sofort zu erklären:
Diese Thatsachen, die gefallen mir nicht. Das ist ja eben die Gefahr, in
der wir uns auch beute wieder befinden, wir wollen die Thatsachen nicht
sehen, wir wollen die Thatsachen nicht anerkennen. Und warum nicht? Weil
sie nicht in unser System, weil sie nicht überall in unser Parteiprogramm
passen. Und ganz besonders schwer, meine Herren, verfündigen sich an der
Geschichte diejenigen Personen, die es auch heute wieder machen, wie wir
es an einer anderen Stelle lesen können: sie schmücken die Gräber der todten
Pupheten und steinigen die lebendigen; sie rühmen die Thatsachen der Ver-
gangenheit, um die Thaten der Gegenwart zu schmähen. Der Gott aber,
der in der Geschichte thätig ist, der ist der Gott der Lebendigen, und es ge-
schicht nichts in der Welt ohne seinen Willen, und wenn es heißt, er setzt
Könige ein, so steht an derselben Stelle, er setzt Könige ab. (Beifall rechts.)
Meine Herren, meinen Freunden und mir gefallen diese Verträge ganz be-
senders um deswillen, weil sie vollkommen den Thatsachen und weil sie voll-
kemmen der Naur und der Geschichte des deutschen Volkes entsprechen. Das
deutsche Volk, oder wie wir jetzt vielleicht schon wieder sagen dürfen, das
deutsche Reich, das hat niemals unter einen der konstitutionellen Schulbe-
Friffe gepaßt, das ist niemals weder ein Staatenbund, noch ein Bundesstaat,