Generaldebatte. L5we. 203
sich nicht so leicht an die neue Lage der Dinge gewöhnen wird, daß es alle
mäglichen Intriguen in Bewegung setzen wird, um den Zustand der Dinge,
wie er drei Jahrhunderte hier bestanden hat, wieder herzustellen, und daß
es uns bann gelingen wird, diese Intrignen zu entmuthigen, wenn Sie Gu-
rera die Ueberzeugung rerschafft haben: es besteht eine wirkliche Einbeit
zwischen den Regierungen und der Nation, die Deutsche Verfassung ist nicht
bloß überhaupt, sondern auch zu einem befriedigenden Abschluß für die Na-
tion gekommen und die Regierungen haben durchaus keinen Grund, der Na-
tion irgend eine Theilnahme an ihren Angelegenheiten, irgend einen Akt der
freien Selbstbestimmung zu versagen: die Regierungen baben darum nicht
rersucht, indem sie die Einheit feststellen, die EFreiheit des Volks in irgend
einer Weise hintenan zu sctzen. Nun frage ich Sie, meine Herren, ob Sie
das nicht indirekt dadurch tbun, daß Sie zwar den föderativen Charaker des
Bundes wieder herstellen, daß Sie aber bei diesem föderativen Charakter alle
Garantien für ein eigentliches Bürgerrecht, das Sie ja doch der Militärver-
fassung wegen geben müßten, außer Augen lassen, daß Sie vielmehr das
deutsche Bürgerrecht den Einzelstaaten, wenigstens Baiern preisgeben, daß
es damit machen kann, was es will? Wenn Sie den deutschen Bürger ver-
pflichten, sein Blut hinzugeben für jeden Fuß deutschen Bodens, dann geben
Sie ihm auch das Recht, sich auf jedem Fuß deutschen Bodens niederzu-
lassen, sein Haus aufzuschlagen, seinem Gewerbe nachzugehen, sich sein Brod
zu verdienen, sich zu verbeiratben und seine Kinder zu erzieben in den lUeber-
zeugungen, die ihm heilig und theuer sind. (Bravo links.) Meine Herren,
Sie können sich gerade dann, wenn Sie der Verfassung einen föderativen
Charakter geben wollen, der Verpflichtung nicht entziehen, diese Freiheits-
rechte für die Nation noch ganz besonders der Gesetzgebung und Verwaltung
der Einzelstaaten gegenüber sicher zu stellen. — Meine Herren, ich komme zum
Schlusse und wende mich dabei zu der Betrachtung, mit der der Herr Ab-
geordnete Lasker die Tribüne verließ, und die er mir aus dem Herzen ge-
sprochen bat. Er sagte: daß er noch eine besondere Hoffnung an den Ab-
schluß des Verfassungswerkes knüpfe, und zwar die, daß nun ein Abschluß
gewonnen werde, mit welchem wir in eine Zeit neuer aber frischer lebendiger
Arbeit an den wirklichen Dingen eintreten, daß wir uns nicht mehr blos für
Verfassungsveränderungen zu organisiren hätten, und daß die Einbeitsfrage
nicht mehr alle andern beherrsche. Ja, meine Herren, die deutsche Frage ist
mein Schicksal gewesen und das kann ich Ihnen gestehen: als dieser Krieg
kam und ich die Blüthe unserer Nation einmüthig und einträchtig in den
Kampf ziehen sah, und diese Hingebung nicht blos auf dem Schlachtfelde,
sondern ebenso als freiwillige Thätigkeit, Mitwirkung in der hingebendsten
und aufopferndsten Weise — da sagte ich mir: ja, dies Mal wird die
keutsche Frage zum Abschluß kommen, anders als du es erstrebt und immer
gedacht hast, aber ein wirklicher Abschluß, ein Abschluß für lange Zeit wird
verwirklicht werden. Wirkliche Dinge werden uns nur beschäftigen, wir