Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

204 Verträge 1870. 
werden nicht mehr in erster Linie nationale und antinationale Parteien haben, 
sondern nun wird die freiheitliche Partei eine Rechtsstaatspartei bilden, sie 
wird den Rechtsstaat zu verwirklichen suchen und wird dabei das Recht des 
einzelnen Bürgers wie das Recht des einzelnen Staates ebenso hoch und 
heilig halten, wie das Recht der Gesammtheit, denn die Aufgabe, die Na- 
tion in einen Staatenverband zu bringen, wird erfüllt sein. Und was haben 
wir jetzt bei dieser Berathung unter den Freunden dieser Verfassung, unter 
denen, die diese Verfassung annehmen wollen, gesehen? Hie Welf, hie 
Waibling! da ist der Partikularismus wieder, da ist der nationale Staat 
wieder in Parteien organisirt. — Ja, wir haben schon vom Abgeordneten 
Wagener die Kompromisse erörtern hören, mit denen die beiden Parteien, 
die organisirt nebeneinander bergeben wollen, sich untereinander abfinden 
wollen. Meine Herren, dieser Gedanke muß der Probirstein für Sie sein, 
ob Sie mit dem Werke zum Abschluß kommen, mit dem ein nenes politisches 
Leben in der Nation beginnt, wo große Parteien sich neu organisiren, nicht 
mehr nach der Stimmung des Augenblicks, nach der flüchtigen Welle des 
Gefübls und nach der Taktik, ja nach den Temperamentsunterschieden, die 
alte Freunde trennen, sondern nach bestimmten Prinzipien und die alle be- 
strebt sind, innerhalb der Verfassung sich zur Geltung zu bringen. Meine 
Herren, Ihre eigene Kritik des Vertrages hat bewiesen, daß er diese Probe 
nicht aushält. Deshalb erkläre ich Ihnen offen: ich kann den Vertrag, wie 
er mit Baiern geschlossen ist, nicht annebmen, denn er entscheidet über die 
Frage, ob Bundesstaat, eb Staatenbund, wenn nicht endgültig, doch aber 
auf lange Zeit und setzt Deutschland noch weiter den Gefahren des Partiku- 
larismus und uns alle der elenden Qual falscher Parteibildung und schlecht 
verwertheter Arbeit aus. (Lebhaftes Bravo links.) 
Migquel aus Osnabrück (Fürstenau-Bersenbrück 2c.) ): In unserer 
Adresse, die wir erließen beim Beginn des Krieges, sprachen wir das Ver- 
trauen und die Hoffnung aus, daß auf der behaupteten Wahlstatt die Na- 
tion den Boden einer freien, friedlichen Einigung finden würde. Meine 
Herren, beute ist dieser Boden vorhanden; die Tapferkeit unserer Brüder, 
wie die ausgezeichnete Leitung der deutschen Heere hat der deutschen Nation 
heute zum ersten Male nach den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, heut 
zum ersten Male nach so vielen Jahrhunderten das Recht gegeben, thatsächlich 
über sich selbst zu disponiren, ohne links und rechts nach dem Auslande zu 
sehen, ohne einen Krieg führen zu dürfen ihrer eigenen Konstituirung wegen. 
Meine Herren, wir sind uns vielleicht nicht ganz der Größe dieser That- 
sachen bewußt, weil wir selbst in diesen Thatsachen leben. Ich gehe an diese 
Debatte, an die Behandlung dieser vorliegenden Verträge, so schwer auch 
meine Bedenken sind, mit der Ueberzeugung, daß, wenn die deutschen Fürsten 
*!) St. B. S. 97 l. u.
	        
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