Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

206 Verträge 1870. 
wärtige Herrschaft, die österreichische Knechtschaft von Deutschland genommen? 
— Preußen und die Hohenzollern! (Bravol) Hätten wir jetzt diesen glor- 
reichen Kampf gegen unsere gefährlichsten aller Feinde, gegen diesen räube- 
rischen und beutelustigen Nachbar, den Franzesen, siegreich bestehen können 
obne Preußen und ohne seine Monarchie? — Nun, meine Herren, auf solche 
Verdienste, auf solche Thaten, auf eine solche Geschichte stützt sich das neue 
Kaiserthum. Aber meine Herren, die deutsche Nation ist auch seit jenen 
Zeiten eine andere geworden; wir haben nicht mehr blos mit eifersüchtigen, 
in kleinlichem Hader rerkommenen Stämmen zu rechuen, wir haben jetzt ein 
großes, mächtiges Nationalgefühl, wir baben das Bewußtsein der Nothwen- 
digkeit der Einheit, durchgedrungen in alle Volkoschichten. Wenn nun dieses 
Kaiserthum, so mächtig in der Geschichte, sich stützend auf eine Macht, wie 
kein Kaiser zuvor, sich lehnend an die Bedürfnisse der deutschen Nation, in 
weiser Schoonung partikularer Interessen und bistorischer Vorurtheile, wenn 
ich sie so nennen darf, wenn es so den neuen Boden des neuen Deutschlands 
beschreitet, — es hat seines Glcichen nicht in der Geschichte, es kann mit 
nichts verglicheu werden, es kann, wie unsere Verfassung, nur aus sich selbst, 
aus ihrem eignen Junern erkannt und kritisirt werden. Meine Herren, 
meine Freunde und ich, wir stellen au die Verfassung der Gegenwart keine 
idealen Forderungen (Sehr wahr! links) wie wir die Verfassung des Nerd- 
deutschen Bundes angenommen haben, ohne daß dadurch bier unsere Idcale 
momentau verwirklicht wurden, und wie wir mit Stolz zurückblicken auf die 
segensreiche Wirksamkeit der Verfassung des Nordbundes, (Ob, eb! links) 
wie wir überzeugt sind, daß ohne das Jahr 1866 und seine Folgen das 
Jahr 1870 mit seinen Früchten nicht sein würde, so stellen wir auch beute, 
durch die Erfabrung gewitzigt, gauz dieselben realen Forderungen, mögliche 
Gorderungen, Dinge, die Jeder leisten kann, und nicht Dinge, die blos dazu 
da sind, um damit in Volksversammlungen Poxularität zu gewinnen. (Leb- 
hafter Beifall rechts, Widerspruch linkö.) Aber wir hoffen dann auch, wenn 
wir so unsere Forderungen beschränken, wenn wir so weit unsere Hand zur 
Einigung entgegenstrecken, dann hoffen wir auch auf ein Entgegenkommen 
von der anderen Seite, auf ein Entgegenkommen von Seiten der Regierungen, 
namentlich aber auf ein Entgegenkommen Baierus. Ich verkenne mit dem 
Abgeorducten Wagener durchaus nicht die Realität eines Staats von fünf 
Millionen, der seit mehreren Jahrhunderten besteht, der seine eigenartige 
Gestaltung empfangen hat, der sein eigenartiges Schwergewicht in die Waag- 
schale wirft; ich verkenne auch nicht die föderalistische Macht, die noch im 
Volke vorbanden ist, ich bin in dieser Beziehung keineswegs Idcalist, auch 
nicht, wie der Herr Abgeordnete Dr. Löwe bei Beginne des RKrieges es ge- 
wesen, ich babe gewußt, daß reale Kräfte im Volke vorbanden sind und daß 
jede Verfassung mit ihnen rechuen muß. Ich bekümmere mich nicht darum, 
daß ich tleorctisch und staatswissenschaftlich diese Verfassung nicht unter be- 
stimmte Rechtebegriffe subsumiren kann, daß ich, wie es auch uns nicht mög-
	        
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