Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

212 Verträge 1870. 
die Schöpfung dieser Verfassung gegeben ist. Es handelt sich nicht mehr 
darum: sollen wir sie so, sollen wir sie anders machen, — es handelt sich 
darum: sollen wir sie überhbaupt machen! Ja, meine Herren, ich könnte in 
meinen sachlichen Betrachtungen zu dem Bedauern geführt werden, daß uns 
eine solche Verfassung überhaupt vorgelegt worden ist. Diesenige Beleuch- 
tung, welche dieselbe von Seiten des Herrn Präsidenten des Bundeskanzler- 
amts, von Seiten des Herrn Abgeordneten Wagenecr erfahren hat, könnte 
in diesem Bedauern mich nur bestärken. Der Herr Bundeskanzleramts- 
Präsident hat wiederholt hervorgehoben, daß der föderative Charakter unserer 
bisherigen Norddeutschen Verfassung in der ihr jetzt zu Theil gewordenen 
Erweiterung noch erheblich erweitert worden wäre. Ich, meine Herren, er- 
kläre mich als abgesagten Feind alles Föderalismus; ich bin und bleibe, auch 
indem ich mein Ja zu dieser Verfassung ausspreche, ein Unitarier. Ich will 
unter diesem Ausdrucke nicht den Gentralisten im gewöhnlichen Sinne ver- 
standen haben, glaube vielmehr, als Erklärung hinzufügen zu sollen, daß ich 
nur in der Centralisirung der eigentlichen Staatsidee, der eminent staatlichen 
Funktionen in ein Staatssubjekt die Möglichkeit für diejenige Dezentralisa- 
tion auf dem Wege der Selbstverwaltung der Kemmunen und Provinzen 
erblicke, die ich, wie den Herren bekannt, mit meinen Freunden auf das 
Lebhafteste erstrebe. Im Interesse der Selbstverwaltung, im Interesse der 
Freiheit, im Interesse der Dezentralisation habe ich mich einen Unitarier ge- 
nannt umd glaube, es bleiben zu müssen, weil auf anderem Wege die staat- 
liche Einheit durch die von uns erstrebte Vertheilung der Verwaltung in 
die Provinzen ernstlich gefährdet werden würde. Wenn der Herr Abgeordnete 
Wagener, auf den ich hier einen Moment noch komme, wieder diesen föde- 
derativren Charakter historisch zu rechtfertigen suchte als einen unserer 
früheren Reichsverfassung singulär inhärirenden und diese Singularität auf 
den Umstand begründete, daß, wie cer mit Stolz sagte, und wie ich ihm 
gerne beistimmc, die deutsche Nation eben selbst singulär sei, so möchte ich 
doch, anders wie er, glanben, daß diese Ucberstellung dieser Singularitit, 
das allzu scharfe Ausdruckgeben dieser Singularität, das Durchführen des 
föderativen Charakters auf einem Gebiete, wo es meiner Ansicht nach aus- 
geschlossen sein muß, nämlich auf dem eminent staatlichen Gebiete, uns zu 
nichts Weiterem geführt hat, als zu dem romantischen Traum der Hohen- 
staufen, als zu der Hauspolitik der Habsburger und als endlich, bei verän- 
derten Umständen, zu dem Rheinbund und — zu Jena. Meine Herren, es ist 
allgemein anerkannt, daß das, was in rielen Blättern als der französische 
Größemvabnsinn — der Ausdruck stammt von Freytag wenn ich nicht irre — 
mit Recht bezeichnet worden ist, die alleinige Ursache der Unvermeidlichkeit 
des gegenwärtigen Krieges war. Aber, meine Herren, ich frage Sie, war 
die (entwickelung dieser nationalen Krankheit aus dem bloßen National= 
charakter, aus der bloßen Eitelkeit und Tapferkeit, aus welcher diese Nation 
vorwiegend zusammengesetzt ist, möglich, möglich in der Intensität, möglich
	        
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