224 Verträge 1870.
rückt, daß es unsern Institutionen und Gewochnheiten ferner steht, als z. B.
das alte Reichs-Erzschenken-Land Böhmen, trotzdem daß dieses zum großen
Theile nicht einmal die deutsche Sprache spricht. Dies rechtfertigt die Aus-
nahmestellung von Baiern, so wenig sie auch im Interesse des Ganzen zu
wünschen ist. Trösten wir ums auch damit, daß ja unser Norddeutsches
Bundesgesetz über Heimaths= und Niederlassungsrecht nicht vollkommen ist:
viellcicht wird dies einst dahin führen, uns durch gegenseitiges Bessern und
Nachgeben noch zu einer Einigung auch auf diesem Rechtsgebict zu führen.
Was den andern Punkt, die Bevorrechtung Baierus in seiner Stellung zum
deutschen Bundesheer betrifft, so ist nicht zu verkennen, daß nach Lage der
Verträge wir im Frieden neben dem deutschen Bundesheer noch in Zukunft
ein besonderes baierisches Heer haben sollen. Es wird der Bundesfeldherr
nur im Kriege ein einheitliches Heer für das ganze deutsche Reich befehligen,
für den Frieden — wenigstens äußerlich — wird der Schein hervorgerufen, als
wenn die beiden baierischen Bundes-Armeekorps gar nicht zum deutschen
Heere gehörten; sie werden nicht die fortlaufende Nummer 15 und 16 tra-
gen, selbst die Regimenter werden nicht durch den ganzen Bund fortlaufende
Nummern haben; die Chefs der baierischen Armeekorps werden nicht
durch den obersten Bundesfeldherrn ernannt, und erst im Kriege tritt das
baierische Heer unter den Oberbefehl des deutschen Bundesfeldherrn. Dem
tritt aber gegenüber, — was schon gestern hier mehrfach hervorgehoben wor-
den ist — daß die Grundprincipien der Kriegsverpflichtung und der gesamm-
ten Heeresorganisation, kurz, die wesentlichsten Bedingungen, welche in dem
Abschnitt der neuen deutschen Bundesverfassung über das Kriegswesen ent-
halten sind, unfehlbar auch auf Baiern Anwendung finden, und daß das
baierische Heer doch für den Moment, für welchen jedes Heer eigentlich be-
stimmt ist, jedenfalls unter den unbedingten Befehl des Bundesoberfeldherrn
tritt. So sehr also auch formell die beliebten Vorbehalte Bedenken unter-
liegen mögen, abgeschwächt werden diese Bedenken in hohem Grade durch
die schwerwiegenden materiellen Festsetzungen der baierischen und der
übrigen Verträge. Beiläufig sei hier der Behauptung eines Redners gedacht,
welche gestern gemacht wurde, und die ich korrigiren muß. Er folgerte aus
der Vertragsklausel, wonach Staaten, welche sich besondere Rechte reservirt
haben, sich viese Rechte nicht verkümmern lassen dürfen ohne ihre Zustim-
mung, die einzelnen Bundesregierungen schon in der Lage sein würden,
diese Zustimmung zu ertheilen, ohne ihre eigene Landesvertretungen noch zu
hören. Diese Auffassung halte ich nicht für richtig. Im Gegentheil, da
jetzt die einzelnen süddeutschen Landesvertretungen zu dem Vorbehalte jener
Rechte ihre Zustimmung geben müssen, so werden, wenn diese Rechte in
einem einzelnen Lande einmal fortfallen sollen, wiederum dieselben Landes-
vertretungen ihre Zustimmung zu dem Aufhören der Reservatrechte ertheilen
müssen. Ein formelles Bedenken gegen Artikel 4 der neuen Bundesver-
fassung ist von großer Wichtigkeit. Die Kompctenz des Bundes wird dort