226 Verträge 1870.
ein Oberbaus in der Weise schaffen zu wollen, daß darauf der Name eines
Fürstenhauses Anwendung finden könnte. Wir möchten Ihnen heute nur die
Frage zur reiflichen Enwägung empfeblen, ob nicht der Gedanke, welcher schon
in der Reichsrerfassung von 1849 und sxäter in der Unionsverfassung nie-
dergelegt war, ob der Gedanke eines Staatenhauses zwar nicht sofort,
aber doch in naber Zukunft zu realisiren sein wird. Wir unsererseits wollen
einen (Einbeitsstaat in Deutschland nicht, wir glauben, daß ein solcher dem
dentschen Wesen völlig widersprechen würde. Vielmehr müssen die einzelnen
demschen Bundesländer in den Stand gesetzt werden, ihre Selbständigkeit
in allen ibnen eigenthümlichen Beziehungen zu erhalten und zu schirmen.
Und dazu ist gerade ein Staatenhaus ganz romehmlich geeignet, ein Staa-
tenhaus, in welchem jedem Bundesstaate als solchem eine Vertretung (etwa
durch die dreifache Zahl der Stimmen, die ihnen jetzt im Bundesrath zu-
gewiesen sind) zu geben wäre. CEin solches Haus würde gleichzeitig mit den
gesetzgeberischen und Verwaltungsbefugnissen auszustatten sein, die jetzt schon
dem Bundesrath übertragen sind und die namentlich auch über den Inhalt
der Artisel 76 und 77 hinaus auch auf oberstrichterliche Befugnisse auszu-
dehnen sein würden. So ungefähr, meine Herren, denken wir uns ein
Staatenbaus, wie es als Gegengewicht gegen den einseitigen Zug eines Volks-
hbauses, eines Reichstages von der jetzigen Komposition, in Wirksamkeit ge-
setzt werden müßte, um diesjenige Sicherheit, Kontinuität und Nützlichkeit der
Verwaltung und Gesetzgebung berbeizuführen, wie sie nach unseren Begriffen
jetzt nicht gesichert, aber durchaus nothwendig ist. Jetzt, meine Herren,
komme ich zu ei er Lücke, welche vielleicht manchem Andern außer mir
schen aufgefallen sein wird. Ans der neuesten Bundesverfassung ist der Ar-
tikel 79 völlig perschwunden. Während in der mit Würtemberg, Baden und
Hessen vereinbarten Bundesverfassung sich noch ein Artikel 79 vorfindet,
welcher folgendermaßen lautet: „Der Eintritt eines, dem Bunde nicht ange-
börenden demschen Staates, in den Bund erfolgt auf den Vorschlag des
Bundespräsidiums im Wege der Bundesgesetzgebung“, so ist nach Verein-
baumg der Bundesrerfassung mit Baiern der Artikel gestrichen. Meine
Herren, man könnte daraus seltsame Schlüsse ziehen; man könnte etwa
meinen, es solle fürder nicht mehr an die jedem Deutschen bekannten Worte
gedacht werden: „So weit die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel
Lieder singt.“ Waren diese wirklich ganz aus der Erinnerung geschwunden,
als man mit Baier paktirte? Soll Deutschland denn auf seine jetzigen
Grenzen definitiv beschränkt bleiben? Giebt es denn — die Frage liegt uns
ja nabe — kein Elsaß und Lothringen, kein Luremburg mehr, die einst
schon deutsche Länder waren? Sollen diese für alle Zukunft aus dem
deuschen Reicheverbande ausgeschlossen sein? Soll mit der Unterdrückung
des Artikels 79 gesagt werden, daß wir mit dem deutschen Reiche fertig sind,
indem wir das erfüllt haben, was ursprünglich in dem Artikel 79 der Nord-
deutschen Bundesrerfassung angedeutet war? Ich will gar nicht einmal