230 Verträge 1870.
Deutschlands wolle, daß dann wiederum ein konstituirendes Parlament ein-
trete. Ich bedauere daher, daß man nicht schon aus Rücksicht für Süd-
deutschland von Seiten der Regierungen auf diesen Weg eingegangen ist.
Es hat das nur die traurige Folge gehabt, daß man auf der anderen Seite
dem Partikularismus die unberechtigtsten Forderungen hat zugestehen müssen,
welche man nicht hätte zuzugestehen brauchen, wenn man einen Weg einge-
schlagen hätte, welcher der Würde der Nation und der Würde der einzelnen
Staaten mehr entsprochen hätte als der jetzige. Der Herr Abgeordnete
Lasker hat gesagt, ja über diesen Weg habe aber die Stimme der Nation
entschieden. Ich darf das zugeben, aber ich muß dann sagen, daß diese
Stimme der Natien sich doch nicht von selbst gemacht hat, und daß ich es
beklagec, daß gerade der Abg. Lasker und seine Freunde in dieser Richtung
ein großes Gewicht in die Wagschale gelegt haben dafür, daß sich die Na-
tion eben nicht für einen Weg entschieden hat, der, wie ich Ihnen nach-
wies, für die Würde dieses Hauses und für die Entwickelung der Einheit
und Freiheit Deutschlands sicher ein heilsamerer gewesen wäre als der jetzt
eingeschlagene. Ich vermag ein solches Verhalten des Abgeordneten Lasker
insoferm auch nicht mit seinen Worten, die er letzthin von der Tribüne sprach,
in Einklang zu bringen, als er selber sagte, er habe das Vertrauen auf den
Genius der deutschen Nation, daß er aus dieser Verfassung Etwas machen
werde. Ja, meine Herren, wenn er dieses Vertrauen auf den Genius, der
Nation hat, warum vertraut er denn nicht demselben Genius der Nation in
einem so großen weoltgeschichtlichen Augenblicke wie der gegenwärtige ist?
Wird denn in einem solchen Augenblicke dieser Genius nicht seine Flügel am
kräftigsten schwingen? Vergißt denn der Herr Abgeordnete Lasker und seine
Freunde, daß die Geschichte nur selten so große Wendepunkte enthält, wo
die Dinge gleichsam in Fluß sind, und wo man sie dem Ideal fügsam
machen kann, daß aber nachher, wenn ein solcher Augenblick ungenützt vor-
über gelassen ist, die Gewalt der konservativen Elemente wiederum das
Uebergewicht crhält und daun allerdings der Genins der Nation oft jenem
Bilde des Pegasus im Joche ähnlicher sieht als dem freien Flügelpferd?
Damm endlich, meine Herren, weist man unsg immer und immer wieder auf
den gegenwärtigen Augenblick, ja selbst auf die Stimmung imserer Brüder
im Felde hin und thut so, als wenn wir jenen Brüdern das schwerste Un-
recht anthun wollten, wenn wir aus aufrichtigem Bedenken auf dem Wege
Halt zu gebieten versuchen, der uns als ein verderblicher erscheint. Meine
Herren, zufällig — dem jener Mann konnte nicht abnen, daß sein Brief
mich in dem Augenblicke erreichen würde, wo hier über eine Verfassung
Deutschlands verbandelt wird — erhielt ich gestern den Brief eines einfachen
Wehrmannes, der in den Reihen unserer Armee kämpft, der aber meine
Stellung zu den Fragen des Rechts und der Freiheit im Allgemeinen sehr
wohl kennt. Er sagt darin: „Ein Wunsch ist es, den wir stündlich aus-
sprechen, das ist ein schneller dauernder Friede, und dieser Wunsch beseelt