248 Vertrag mit Baden und Hessen.
andern Worten: die Staatsgüter sind zeitweilig ihrem seitherigen Zwecke
entzogen und werden als Demänen des fürstlichen Hauses behandelt.
Aber mit diesen Veräußerungen, die ganz verfassungswidrig und von zahl-
reichen Gemeinden des Landes mittelst sofortiger Proteste und Beschwerden
beim Reichstage angefochten find, und welche nur mit einer Mehrheit von
2 oder 3 Stimmen jenes künstlichen Abstimmungsapparats, zu dem die
Wahlen der fürstlichen Bestätigung bedürfen, beschlossen wurden, ist die
Ergebenheit der biederen Landstände noch nicht erschöpft; aus der verschul-
deten Landkasse, welche den Militäraufwand nicht aufzubringen vermag,
schicken sie jährliche Apanagen zu 6 bis 7 Tausend Thaler an werschiedene
Mitglieder des fürstlichen Hauses, vorzugsweise zu einer prinzlichen Hof-
haltung. Die zur Zeit noch nicht verwirklichten Hoffnungen der Erhaltung
der Thronfolge sollen, wie man sagt, den Ständen zur Rechtfertigung
dieser Freigebigkeit aus den erschöpften Kassen eines verarmten Landes
dienen. Also, meine Herren, obgleich das fürstliche Haus das ganze Staats-
vermögen auf diese Weise für sich allein nutzt, und die Regierungslasten
der Bevölkerung aufzubürden verstanden hat, erhalten dennoch Mitglieder
des fürstlichen Hauses so bedeutende Apanagen seit einer Reihe von Jahren.
Zur Zeit der Verfassungsoktroyirungen verschrieb man sich den großen
Staatskünstler Dr. Hannibal Fischer. Es muß ihm zum Lobe nachgesagt
werden, daß er mit derselben Dienstbeflissenheit, mit welcher er die weiland
Deutsche Flotte unter den Hammer brachte, auch mit den feierlich verbrieften
Rechten und Gerechtigkeiten des Landes aufgeräumt hat, nämlich mit allen
denjenigen, welche dem Volke zum Vortheile gereichten; während nur die-
jenigen Einrichtungen Gnade vor seinen Augen fanden, die im fürstlichen
Interesse lagen. Sie sehen also, meine Herren, wohin die Staatsstreiche
in Lippe geführt haben; es handelt sich nicht blos um einen theeretischen
Verfassungsstreit, sondern es ist ein kleiner Volksstamm seiner bedeutendsten
Stütze und Quelle seines Wohlstandes, seiner Staatsgüter beraubt. Ein
Ländchen, von dessen vierten Theile sich der Landesherr gewissermaßen als
Eigenthümer betrachtet, das erscheint mehr als eine Domaine denn als
ein lebensfähiger Staatsorganismus, zumal der Territorialherr den Schlüssel
zu allen industriellen Unternehmungen in Händen hat. Die verschiedenen
Beschwerden, welche dieserhalb sowohl beim Reichstage als beim früheren
Bundestage erhoben worden sind, haben keinen Erfolg gehabt. Bis jetzt
hat sich der Bundesrath für inkompetent erklärt und die Beschwerden zu-
rückgewiesen, weil er irrthümlich annimmt, daß dieser Zustand im Jahre
1866 bereits vorgefunden worden sei und daß Alles dieses die Fürsten sich
gewissermaßen einander verbürgt. Die Aussicht, daß im Wege der Ver-
fassungsreform eine Abänderung erfolgen könne, ist sehr trügerisch, weil
von den 7 Mitgliedern der ritterschaftlichen Kurie 4 die Majorität bilden
und diese 4 Mitglieder im Stande sind, der ganzen verfassungsmäßigen
Entwickelung des Landes einen Riegel vorzuschieben, also gewissermaßen