XV. Uebergangsbestimmung. III. §5 1. Delbrück. Micguel. 317
kann der Meinung sein, daß dieser Widerstand auf einer Verkennung der
wahren Interessen beruhe; ich meinerseits würde dieser Meinung nicht wider-
sprrechen. Vorhanden ist er aber; die Thatsache ist da. Die Bevölkerung
bat sich mit Widerstreben in den Bruch des bieherigen Zustandes gefügt,
welcher durch diese neue Gesetzgebung herbeigeführt ist; sie würde sich nicht
dazu entschließen können, unn noch einen erbeblichen Schritt weiter zu gehen
und sofort die Gesetzgebung sich anzueignen, welche im Norddeutschen Bunde
über den Gegenstand erlassen ist. Nun ist bei der Generaldiskussion schon
darauf aufmerksam gemacht worden, daß ja das Vertrauen wohl hätte ge-
begt werden können zu dem Bundesrathe und dem Reichstage, daß man ein
so eingreifendes Gesetz, wie das über den Unterstützungswohnsitz, nicht rück-
sichtslos sofort auf Baiern übertragen hätte. Indessen, meine Herren, es
liegt hier ein Verhältniß vor, wie es ja von der anderen Seite auch hier
im Hause schon betont worden ist: Wenn man in ein so neues Verhältniß
eintritt, so ist man ängstlich; man hat ja hier auch aus manchen Bestim-
mungen, die zu Gunsten Baierns getroffen sind, für den Bund direkt nach-
tbeilige Wirkungen gefürchtet. Umgekehrt war es auch so; man glaubte, in
Bezug auf einen so wichtigen Punkt sich sichern zu müssen. Nun, meine
Herren, habe ich die Ueberzeugung, daß die Entwickelung der Dinge in
Baiern denjenigen Theil der Bevölkerung, welcher jetzt mit einer entschiede-
nen Abneigung eine solche Umwandlung der Verhältnisse aufnehmen würde,
eines Besseren belehren würde. Und ist das der Fall, so habe ich die feste
Ueberzeugung, daß die baierische Regierung in der That nicht aus Ressort-
liebhaberei sich alsdaun einem Verzicht auf den hier gemachten Vorbehalt
entziehen werde. Für den Augenblick ist dies nicht möglich.
Migquel'): Nach den Erklärungen des Herrn Präsidenten des Bundes-
kanzler-Amts ist in Beziehung auf die Annahme oder Nichtannahme unsercs
Amendements dasjenige für mich maßgebend, welches ich bereits zu der ersten
Erklärung erwiderte. Ich will nur, wenn hier versucht wird, dieses Reser-
ratrecht Baierns sachlich zu rechtfertigen, darauf hinweisen, daß der Herr
Präsident des Bundeskanzler-Amts, in sehr freundlicher Weise in die Seele
der Herren Minister ans Baiern hinein sich denkend, doch weiter nichts hat
anführen können, als das Vorurtheil der baierischen Bauern. (Hört! hört!
links.) Es ist sehr schlimm, wenn die Deutsche Verfassung, die Frage, ob
ein einheitliches deutsches Bürgerrecht gebildet werden solle oder nicht, von
dem Vonntheil der baierischen Bauern abhängt, Vorurtheile, die wir hier
in Norddeutschland ebenso gut gebabt haben und noch haben, und die wir
bier zu überwinden uns nicht gescheut haben, Vornurtheilc, die übrigens durch
die eigene baierische Socialgesetzgebung im Wesentlichen längst überwunden
sind. Wenn wir also diesen Paragraphen annehmen, so können wir das
) St. B. S. 144 r. g. u.