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Zweifel der wichtigste und eingreifendste. Da kommen vorerst eine ganze
Reihe ron Bestimmungen in Betracht, durch welche Artikel der Verfassung
als auf Baiern nicht anwendbar bezeichnet werden, in denen sich also Baiern
nech seine besondere Stellung, eine gemisse Isolirung vorbehält. Wenn man
übrigens näher zusieht, so ist auch dieser Gegensatz nicht so wichtig, als er
auf den ersten Blick scheint. In sehr vielen Fällen handelt es sich in der
That nur darum, ein gewisses Gefühl einer selbstständigen Stellung möglichst
zuschonen in der äußern Form. Das gilt so in den wichtigen Dingen, namentlich
rom Militärwesen Wir müssen hier immerhin in billige Berücksichtigung ziehen, daß
Baiern ein Staat von 4 Millionen ist, der doch in höherem Grade ein gewisses
Gefühl einer staatlichen, ich möchte sagen, sogar einer relativ europälschen
Stellung hat als irgend einer der andern deutschen Staaten, außer natürlich dem
leitenden. Wir müssen ferner anerkennen, daß Baiern, indem es in diese Ver-
sassung eintritt, in der That viel mehr gethan hat, als wir noch vor 6 Monaten
für möglich erachtet haben. Seit diesen 6 Monaten ist auch das Gefühl
in Baiern lebendig geworden, daß die Sicherheit dieses Staats und seine
Zukunft nur in der allerengsten Verbindung mit dem übrigen Deutschland
gewährleistet sei, nicht aber in einer isolirten Stellung, daß die Stellung von
Baiern eine höchst gefährdete wäre ohne diesen innigen Verband. Wir
wollen uns überdem der Thatsache, der erfreulichen Thatsache nicht verschlie-
ben, daß in Baiern die deutsche Gesinnung während der zwei letzten Gene-
rationen im Laufe dieses Jahrhunderts außerordentlich zugenommen hat, sehr
viel lebendiger geworden ist als in irgend einer früheren Periode der Geschichte.
Noch im vorigen Jahrhundert war in Altbaiern hievon fast gar nichts zu finden
und heute geht durch die Hauptstadt München ein lebendiger Zug der nationalen
deutschen Gemeinschaft. Wir dürfen gar wohl vertrauen, daß dieser Zug auch in
Baiern wachse und daß die Differenzen und Vorbehalte entweder praktisch sich von
selter lesen werden oder doch formal nach dem Wunsche Baierns selbst wieder be-
seitit werden. Auch das baierische Heer hat nun einmal eine gewisse Be-
drutung und wenn die Baiern heute noch auf ihre blauen Uniformen stolz
sind und ihrer Tapferkeit bewußt, so können wir ihnen das nicht übel neh-
men. Im letzten Grund ist dies auch kein großer Schaden, wenn die einen
eine etwas andere Uniform haben als die andern. Wenn einmal der große
Heerführer, der unsere militärischen Dinge leitet, sich einverstanden erklärt
mit diesem Zugeständnisse an Baiern und dessen Selbstgefühl, so haben wir
entfernt keine Ursache, anders zu handeln und, ich möchte sagen, militäri-
scher zu sein als der Leiter des Militärwesens. Also diese Dinge bewegen
uns nicht, irgend einen Vorbehalt zu machen. In den Verträgen giebt es
aber ein paar Punkte, die allerdings etwas Bedenkliches haben und die ich
schon deßwegen nicht ebenso mit Stillschweigen übergehen kann. Es sind
des bauptsächlich drei: Es sind diese Dinge auch in der Commission zur
Srrachen gekommen. Das erste bezieht sich auf den Ausschuß für auswär-
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