Bluntschli. 405
Konig von Würtemberg oder Baiern zu unterordnen habe und es würde ihm
das immer etwas Seltsames gewesen sein und er wäre immer in diesen Kon-
flit gerathen. Das wird von dem Augenblicke an anders, wo der einfache,
schlichte Bauer weiß, es ist der Deutsche Kaiser, der an der Spitze des gan-
zen, großen, gemeinsamen Vaterlandes ist, der Gehorsam fordert: in seiner
Seele wird der Kouflikt gelöst und das ist von der größten politischen Im-
ronanz, denn die Volksgefühle sind wichtig. Wichtig ist das ferner auch
den auswärtigen Mächten gegenüber. In demselben Moment, wo der Kaiser-
titel an der Sxitze von Deutschland erscheint, ist es auch den Russen, den
anderen kaiserlichen Völkern klar, daß Deutschland nicht eine Macht zweiten Ran-
ges ist; denn diese Vorstellung besteht auch anderwärts, daß der kaiserliche
Staat etwas vornehmer, etwas häher sei, als der blos königliche, und nicht
mit Unrrcht erklärt die Krone von England, daß sie eine kaiserliche und
keine bles königliche Krone sei. Es ist aber doch besser, den Namen deutlich
auk msprechen. Endlich liegt in diesem Kaisertitel immerhin auch eine gewisse
Befriedigung, ich möchte sagen, der Volksphantasie, auch eine gewisse freu-
dige Erinnerung an die große Zeit der deutschen Geschichte, und gewiß muß
man das auch bei den Völkern respectiren, — ihre Phantasie. Ein blos nüch-
ternes Staatswesen würde wenigstens im Süden niemals so recht Wurzel
fassen konnen. Süddeutschland ist nun einmal nicht so; wir lieben eine ge-
wisse Poesie in den Dingen, wir haben Freude daran, wir wollen ein ge-
wisses warmes Gefühl, einen gewissen Schwung auch in Sprache und Ausdruck.
Die bloße, kalte, nüchterne Logik allein befriedigt uns nicht. Ich behaupte, daß
dieses eine Wort „Kaiser" einen lebendigen Anklang heute schon gefunden hat in
den Herzen namentlich der Süddeutschen, und daß das sich steigern, daß das sich
senbilden wird. Endlich wäre es das eine senderbare Sache, ich möchte
sagen, eine principielle Disharmonie der Verfassung, wenn an der Spitze
der einzelnen deutschen Staaten Monarchen stünden als solche und an der
Sritze ven ganz Deutschland ein bloßes Präsidium, d. h. eine republikanische
Magistratur wäre. Das Bundespräsidium ist ohne Weiteres eine republi-
kanische, nicht monarchische Institution. Indem das Bundespräsidium den
bitel „Kaiser"“ annimmt, verkörpert es sich gleichsam in den Augen der
drutschen Nation als Macht, Würde, Einheit, Hoheit des ganzen Staats in einer
serson. Also wir gewinnen nur mit diesem Titel. Wenn ich mir erlanbt
k#be, diese Sache etwas weiter auszuführen, so möchte ich bei dieser Gelegen-
leit das hohe Haus daran erinnern, daß es schon im Jahre 1806 den Ge-
danken ausgesprochen hat, der heute nun, wie wir hoffen, zu aller Freude
derwirklicht wird. Unläugbar haben ja in diesem Lande alle politischen Fac-
tern zusammengewirkt zu dem großen Werke der deutschen Einigung: voraus
der Landesfürst selbst, der allen andern deutschen Fürsten in Bereitheit, für
das große Vaterland Alles zu thun, vorausgegangen ist, die Staatoregierung,
⅝ und ich glaube eine Wahrheit auszusprechen, wenn ich sage, daß auch ihr
leitender Gedanke durchaus diese politische Einigung Deutschlands war —, die