Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Biegeleben. 433 
heitsstaat im Stande sein, die Kräfte der Nation in gleichem Maße flüssig zu machen 
wie diesmal, aber schwerlich mit gleichem Erfolg. Daß dies aber jemals geschehe, 
das kann ich nicht einmal wünschen. Wenn Sie sodann auf die inneren Zustände 
Deutschlands blicken, so werden Sie bei unbefangener Beobachtung zugeben 
müssen, daß das cigentlich trennende und zersetzende Element nicht sowohl 
in der Vielheit der Territorien und Landesgrenzen, als in dem Kampf der 
Parteien zu suchen ist, die sich nicht um die Grenzpfähle kümmern. Alles 
dieß muß Ihnen zeigen, daß es nicht sowohl auf die einheitliche Form, als 
auf die einmüthige Gesinnung ankommt. Die Einigkeit verhält sich eben 
zur einheitlichen Form. wie die Seele zum Körper. Bei der cigenthümlichen 
Geschichte Deutschlands besorge ich aber, daß in einem Körper, wic der 
Nerddeutsche Bund, jenes belebende Princip eher erlahmen als erstarken 
werde. — Ein zweites Moment, welches mich gegen die neue deutsche Bundes- 
Verfassung einnimmt, liegt in der Thatsache, daß sie das historische Verhält- 
niß Deutschlands zu Deutsch-Oesterreich nicht allein ignerirt, sondern geradezu 
negirt. Ich gebe mich in dieser Beziehung keinen Illusionen hin. Ich 
Feiß schr wohl, daß es zur Zeit unmöglich ist, daß Deutsch-Oesterreich unter 
denjelben Bedingungen wie die übrigen Länder Deutschlands in eine natio- 
nale Verbindung mit uns eintrete. Damit ist aber nicht gesagt, daß gar keine 
natienale Verbindung mit unsern Brüdern in Deutsch-Oesterreich möglich 
sei, und ich glaube, daß es die Pflicht und die Aufgabe jedes wahren Pa- 
trieten sei, eine solche Verbindung, soweit immer moglich, anzustreben. Für 
jolche Bestrebungen läßt aber die Verfassung des norddeutschen Bundes, so- 
wie die des neuen Reiches keinen Raum. Sie geht vielmehr von der mit 
der 1000jährigen Geschichte unserer Nation in Widerspruch stehenden Fiction 
aus, daß Deutsch-Oesterreich gar nicht zu Deutschland gehöre. Das 
ii's, was ich tief beklage. Ich unterlasse es, auf diesen Punkt näher ein- 
zugehen, weil ich mich vielleicht veranlaßt sehen werde, nach dieser Richtung 
bin einen selbständigen Antrag zu stellen. So schwerwiegend die angedeu- 
teten Bedenken für mich auch waren und sind, so lag hierin doch nicht der 
entscheidende Grund, waium ich mich seither gegen den Eintritt in den Nord- 
deutschen Bund gesträubt habe. Ich hätte mich mit der Hoffnung vertrösten 
konnen, daß die berührten Mängel mit der Zeit und an der Hand der GEr- 
fabrung geheilt oder doch gemildert werden könnten. De entscheidende 
Grund lag und liegt vielmehr für mich in der dominirenden Stellung, die 
der Preußische Staat im Norddeutschen Bunde seither eingenommen hat und 
in nur wenig gemindertem Maße auch in dem künftigen Deutschen Reiche 
einnehmen wird, eine Stellung, die mir mit einem gesunden Föderativsystem 
unvereinbar scheint und wodurch dem neuen Deutschen Reiche eine der Ge- 
schichte und Eigenthümlichkeit der Nation widerstrebende Grundlage gegeben 
wird. — Ich bitte mich nicht mißzuverstehen. Es liegt nicht in meinen Ge- 
danken, die Machtvollkommenheit Seiner Majestät des Königs von Preußen, 
Malchialien III. 28
	        
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