436 Hefsen. Verhandlungen der zweiten Kammer.
Curtman'’): Meine Herren, der Augenblick ist da, wo wir uns über
die Frage schlüssig machen müssen, ob wir den letzten Rest unserer partiku-
laren Selbständigkeit unwiderruflich aufgeben wollen. Angesichts der Wich-
tigkeit einer solchen Beschlußnahme erachte ich es für die Pflicht eines Ab-
geordneten des Hessischen Volkes, nicht allein auf das Gewissenhafteste zu prü-
fen, ob er dieser Vorlage zustimmen kann, sondern auch in schärfster Weise die
Stellung zu kennzeichnen, die er einer solchen Vorlage gegenüber einnimmt. Ich
bekenne nun und erteune an, daß durch die jüngst abgeschlossenen Bundesverträge
die Einheit Deutschlands, soweit es unter den gegenwärtigen Verhältnissen
möglich ist, hergestellt wird. Ich bin auch nicht gleichgültig gegen die Ein-
heit und daraus erfließende Macht meines Vaterlandes und bin nicht so
blind, um nicht einzusehen, daß wir blos unter der trefflichen Oberleitung
Preußens diese Einheit und Macht zu erringen im Stande waren und er-
halten können, daß also auch die übrigen Staaten an dieses oberleitende Cen-
trum wesentliche Soureränitätsrechte abtreten müssen. Endlich erkenne ich
Preußen den vollsten Anspruch auf die militärische und diplomatische Füh-
rung Deutschlands zu, da es sich denselben erst neuerdings wieder durch die
großartige Zusammenfassung der nationalen Kräfte in diesem Jahre, durch
die intelligente und energische Kriegführung und die Sicherheit seiner diplo-
matischen Action unzweifelhaft envorben hat, und Ehre und Anerkennung
zolle ich hierfür dem greisen König, dem künftigen Deutschen Kaiser, und
allen Denen, welche ihm bei dem großen Werke, der Niederwerfung des Erz-
feindes, getreulich mitgeholfen haben. Allein, meine Herren, wir würden doch
schweres Unrecht thun, wenn wir über diesen unbestreitbaren Verdiensten
eines Factors vergessen wollten, der meines Erachtens den wesentlichen An-
theil an den Erfolgen, sicherlich aber den Löwenantheil an den Drangsalen
und Opfern dieses Krieges hat, eines Factors, dessen zu erwähnen einer
deutschen Ständeversammlung wohl ziemt: ich meine das Deutsche Volk. Es
bedarf wohl kaum der Schilderung dessen, was das Volk bei dieser großen
Erhebung gethau hat. Oder muß ich an das erinnern, was wir erst vor
wenig Wochen und Monaten mit erlebt haben und allstündlich miterleben?
Hat sich das Volk nicht einmüthig bei der frerelhaften Herausforderung
Frankreichs erhoben, haben nicht die Eltern freudig ihre Kinder, die Frauen
ihre Gatten, die Ernährer der Jamilic, die Männer ihr Blut hingegeben,
um das Vaterland zu retten!? Oder hat Jemand mit Geld und Gut ge-
kargt, wo es galt die Lasten des Krieges tragen, wo es galt das Elend
der Leidenden lindern, und hat je die Weltgeschichte überhaupt eine so verständ-
nißeinige nationale Erhebung gesehen, wie die Deutschlands im Jahre 18707
Treu und gerecht, tapfer und opferwillig ist das Deutsche Volk in den Rampf
eingetreten und hat ihn durchgefochten zur Ehre des Vaterlandes. Durch
das Blut des Volkes ist Elsaß und Lothringen wieder gewonnen, und der
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