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gefunde Sinn des Volkes wird dieses Bollwerk deutscher Nation nicht wieder
aufgcben, trotz Franzosen und deutschen Theoretikernn. Wenn aber dem so
ist, dann ist doch auch die Frage am Platz, meine Herren: Soll denn nun,
da der Tag gekommen, wo die Früchte des Sieges geerntet werden, dieses
Velk einfach für seine Hingebung und Treue, für das, was es gelitten, für
dak, was es erstritten, nichts weiter haben als der Welt Lohn) Kann
man jetzt diesem Volke zurufen: Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan,
der Mohr kann gehen? Nun weiß ich recht wohl, meine Herren, es giebt
sehr bescheidene, um nicht zu sagen arme, Seelen, die da behaupten, wir
bänen ja unseren Lohn dahin, indem wir jetzt alle gewürdigt seien der Seg-
nungen des Nordbundes. Ja, meine Herren, wer sich damit zufrieden giebt,
der hat allerdings seinen Lohn dahin. Ich aber glaube, daß jetzt der Zeit-
runkt gekommen wäre, wo dem Volke derjenige Antheil an der Staatsver-
waltung, der ihm von Gott und Rechtswegen gebührt und der ihm ohne
Gott und ohne Recht vorenthalten ist, hätte zurückgegeben werden müssen
md ohne Gefahr des Mißbrauchs hätte zurückgegeben werden können: ich
balte den Augenblick für gekommen, wo Recht und Freiheit rückhaltlos hätten
anerkannt werden sollen. Damit Sie aber nicht glauben, meine Herren,
ich habe mit den Worten Recht und Freiheit ein lecres Phrasengeklingel ge-
trieben, so will ich klar und scharf die Forderungen präcifiren, welche jetzt
dem Volke hätten erfüllt werden müssen und welche nicht erfüllt worden
sind. — Zum Ersten, glaube ich, hat das Deutsche Volk das Recht erkämpft,
daß ihm diejenigen Rechte, welche überhaupt einem loyalen und gesitteten Volk
wie das Deutsche gebühren, grundgesetzlich garantirt werden: Freiheit der
Person, des Eigenthums, freie Bewegung im Staate, daß ihm Garantie
gegeben werde gegen jeden Eingriff in diese Rechte seitens des Staates,
der Kirche und Gemeindeverwaltung, was man gewöhnlich Grundrechte nennt.
Um aber Mißverständnisse zu vermeiden, will ich bemerken, daß ich unter
Grundrechten nicht die Schablone von 1849 verstehe, die allzusehr den Stem-
ueel rerolutionären Ursprungs an sich trägt. Ich verstehe darunter das Recht,
das mit uns geboren. Und, meine Herren, ich glaube, so gut wie man ein
langathmiges Kapitel in die Bundesrerfassung zu Gunsten des Baierischen
Partikularismus hat einschieben können, eben so gut und mit mehr Recht
bäne man ein ganz kurzes Kapitel über die Rechte des Volks einschie-
ten kennen, wenn man nur gewollt hätte. Zum Zweiten erklärt die gegen-
wärtige Bundesverfassung ### aller deutschen Bürger für nicht fähig im
Reichstage zu sitzen, wenigstens factisch, indem sie die Vergütung der Aus-
gaben, welche dem Einzelnen durch die Vertretung erwacksen, verweigert.
Hier habe ich einfach die Frage: Hat es das deutsche Volk durch sein Be-
tragen im Jahre 1870 verdient, daß seine tüchtigen Bürger von dem Sitz
im Reichstage ausgeschlossen werden, weil sie nicht das Jahr 3000 Thaler
Renten haben? Haben etwa blos Diejenigen, die eine solche Rente besitzen, mit-
gekämpft und mitgelitten? — Zum Dritten halte ich es für ein entschiedenes