438 Hessen. Verhandlungen der zweiten Kammer.
Recht Desjenigen, der im Falle des Kriegs seine Haut zu Markte tragen
muß, und Dessen, der im Krieg wie im Frieden dic militärischen Lasten zu
tragen hat, daß er auch ein entscheidendes Wort über Krieg und Frieden
mitzureden hat durch die Volksvertretung — außerdem aber auch bei Abschluß
aller Verträge mit auswärtigen Staaten ein enrscheidendes Wort mitzureden
hat, weil aus diesen Verträgen Verbindlichkeiten für das Volk entspingen, und
Niemand eine Verbindlichkeit erfüllen soll, die er nicht selbst
miteingehen half. Damit im Zusammenhang versteht es sich aber weiter
von selbst, daß der Volksvertretung die volle Finanzbewilligung eingeräumt
wird, daß keine Einnahme oder Ausgabe, sei sie ordentlich oder außerordent-
lich, direct oder indirect, ohue ihre Einwilligung gemacht werden darf, Alles
im ordnungsmäßigen Budget und nicht über dasselbe hinaus. — Damit aber
auch diese Rechte des Volkes gehörig beobachtet und garantirt werden, ist es
durchaus erforderlich, daß ein Reichsministerium, und zwar ein verantwort-
liches bestellt werde, verantwortlich einem Reichsgericht gegenüber, welches
darüber zu wachen hat, daß die Verfassung nicht verletzt oder umgestoßen
wird, verantwortlich einem Reichsgerichte gegenüber, welches außerdem alle
Streitigkeiten zwischen Bundesgliedern unter sich und mit ihren Landständen
endgiltig zu entscheiden hat. Das, meine Herren, sind die Forderungen des
deutschen Volkes, die hätten erfüllt werden müssen, welche aber nicht erfüllt
worden sind. Es wäre der großen Erhebung von 1870 würdig gewesen, wenn
man freiwillig dies gewährt hätte; es hätte von einem Verständniß einer großen
Zeit gezeugt. Daß es nicht geschehen, bedauere ich auf's Tiefste, ich be-
dauere es um so mehr, weil ich nicht glaube, daß das in den Vordergrund-
Schieben der Machtfrage und das Zurückdrängen des Rechts und der Frei-
heiten des Volkes zu einem guten Ende führt. Der Herir Vorredner von
Biegelcben hat das bereits einigermaßen berührt. Ich aber sage noch schär-
fer: die Einheit ist der Güter höchstes nicht; fie ist nur das Mittel
zum Zweck und dieser höchste Zweck heißt „vollständige Herrschaft des Rech-
tes und der Freiheit.“ Es ist daher ein schwerer Irrthum, dem jetzt Vielc,
trunken vom Erfolge, verfallen, wenn sie das Mittel zum Zweck erheben.
Das, meine Herren, ist derselbe Chauvinismus, den Frankreich jetzt so schwer
büßt. Und es ist ein nicht minder folgenschwerer Irrthum, wenn eine ganze
Partei glaubt, es werde uns die Freiheit und das Recht in den Schooß
fallen, wenn wir nur einmal die Einheit hätten, ohne zu bedenken, daß cs
eine Einheit ist, welche durch die Unterstützung der Gegner der Freiheit
errungen worden, ein Irrthum, so folgenschwer, wie der des Feldherrn, der sich
zur Eroberung einer Festung einen Bundesgenossen beigesellt, der ihm schließlich
den Siegespreis entreißt. O, meine Herren, es war schon einmal eine solch große
Zeit, als im Frühsahr 1813 das deutsche Volk sich wie ein Mann erhob
und den fremden Zwingherrn nach blutigem Ringen auf den Feldern von
Leipzig niederwarf. Da erklangen auch die Proclamationen von Einhecit,
Freiheit und Recht, und es schien, als wollten sich die Träume der Dichter