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muͤßten, nicht bezeichnen zu sollen; sie liegen in Aller Munde. Man glaubte
indessen, daß, ahne die Bedeutung dieser Fragen zu unterschätzen, ohne die
Nothwendigkeit einer Ordnung dieser Fragen im Laufe der Zeit irgendwie
rereinen zu wollen, daß der jetzige Augenblick nicht dazu geeignet sei, um
diese an sich schwierigen, zum Theil zwar vielbesprochenen aber noch wenig vor-
berriteten Fragen zum Abschluß zu bringem. Man ging davon aus, daß es
richtiger sei, jetzt sich auf Das zu beschränken, was unmittelbar durch den
Veitritt der süddeutschen Staaten geboten sei, und den weiteren inneren
Veufassungsbau dem Zusammenwirken des zukünftigen Deut-
schen Bundesraths mit dem künftigen Deutschen Reichstag zu
überlassen. So bewegen sich denn die vorliegenden Verträge auf der
Grundlage der Verfassung des Norddeutschen Bundes ur.d beschränken
sich darauf, in diese Verfassung hineinzutragen, was durch die Erweiterung
des Bundes unmittelbar geboten wurde.““) Meine Herren, Sie werden nicht
rerkennen, daß in dieser Erklärung des Bundesministers im Reichstag zu
Balin ein Anerkenntniß der Unvollkommenheit der Verfassung des Nord
deutschen Bundes liegt, daß sie einer Entschuldigung dafür gleichkommt, daß
nicht bereits durch die Verfassungsverträge, die heute Gegenstand unserer Ber
athung sind, diejenigen Verbesserungen der Bundesverfassungen vorgeschlagen
wurden, deren diese bedarf. Ob es nicht zweckmäßiger gewesen wäre, weiter
zu gehen, will ich nicht crörtern, denn — und dies führt mich zu einem wei-
teren Grunde, warum ich den Verträgen, so wie sie liegen, beistimme — ich er-
kenne rollkommen die unermeßliche Schwierigkeit an, die zu überwinden war, um
einem solchen Resultat zu kommen. Die Erkenntniß dieser Schwicrigkeit muß
geneigt zu machen, sich auch mit dem so gewonnenen Unvollkommenen zubegnügen,
im Vertrauen eben auf die Zukunft. Gewiß, Sie Alle werden von dieser Schwie-
aigkeit durchdrungen sein. Das führt mich zu der Kritik, welche der Aus-
schß bericht übt, indem er der Bairischen Regierung den Vorwurf macht,
dab sie absichtlich dem Zusammenwirken mit den anderen süddeutschen Staaten,
um zu einer besseren Verfassung zu gelangen, sich entzogen habe, lediglich um
ihre baierischen partikularistischen Zwecke um so sicherer zu erreichen. Ich
will bezüglich dieser Klage Einiges bemerken, was mir Veranlassung bieten
wird, auf diezenigen Punkte zu sprechen zu kommen, die ich an der Bundes-
refassung hauptsächlich auszusetzen habe und deren Berbesserung nun für
eine längere Zukunft die Aufgabe bleiben wird, welche die Nation mit Zähig-
keit zu erstreben haben wird. Und wenn ich dieser Punkte heute in diesem
Kreise ausführlicher erwähne, wo ich schon öfters über die deutsche Frage zu
#rrechen Gelegenheit hatte, so werden Sie den alten Mann mit Nachsicht
beurtheilen. Es ist jedoch nicht meine Absicht, heute hier Reclame für meine
Vergangenheit zu machen, die vielmehr bei diesem Anlaß von selbst aus der
Vergessenheit heraustritt, sondern ich will nur auf das Wesentlichste, was
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S. Sd. III. S. 133.