Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Gagern. 453 
bis zum 31. December 1871 normirt ist, gefährde den materiellen Wohl- 
stand und sei nicht aufrecht zu erhalten. Er konnte für den Norddeutschen 
Bund — diesc aus Krieg und Eroberung hervorgegangene gewaltthätige Schaf- 
fung — eine Nothwendigkeit und Existenz-Bedingung sein, die Fortdauer solcher 
Rüstung aber im geeinigten Deutschland mußte auch gegen dieses Mißtrauen 
und Feindschaft erwecken. Nicht um dem übrigen Europa in solcher Rüstung 
Trotz zu bieten erstrebt Deutschland die Einheit, — dem Geiste der Nation 
ist die Soldaten-Herrschaft zuwider. Das Aufgeben des Art. 60 der Nord- 
deutschen Bundesverfassung und die Herabsetzung der Friedens-Präsenzstärke 
des Bundesheeres auf ein halb Proceut der Bevölkerung mußte also die erste 
Ferdcrung und Bedingung sein, wenn Süd= und Norddeutschland freiwil- 
lig und ohne Gefährdung des Friedens sich wieder zusammenschließen sollten. 
Die Verhältnisse haben sich inzwischen geändert; wir sind im Kriege und 
kedürfen gegenwärtig der Gesammtstreitkräfte der Nation; ich hoffe aber, 
daß wir sie nicht lange mehr in solcher Anspannung bedürfen werden und 
daß ein günstiger, glorreichen Friede das Ziel des jetzigen Kampfes sein 
müsse. Dann aber wird mit der friedfertigen Gesinnung, von welcher die 
deutsche Nation durchdrungen ist, auch die Emxfehlung der gesunden Politik 
wieder einkehren, dem mißtrauischen Europa Bürgschaften zu bieten, die der 
Vehrfähigkeit der Nation keinen Eintrag thun. Zwei andere Modificationen 
an der Norddeutschen Bundesrerfassung wurden damals als Bedingungen 
der Cinigung und Verständigung bezeichnet. Die eine Bedingung war, daß 
das föderalistische Element in Deutschland besser in der Verfassung entwickelt 
werde, als es in der norddeutschen Bundesverfassung geschehen ist. Das 
soderalistische Princip wird aber in der Bundesverfassung nicht blos durch 
Garantien gewahrt, welche der autonomen Selbstbestimmung der Bundes- 
staaten durch den Organismus der Executive eingeräumt sind; das födera- 
liftische Element kann auch durch das Wahl-System, durch den Organis- 
mus der Reichsvertretung für die Legislative gefördert werden. 
Eine falsch verstandene und dabei ihr Ziel verfehlende förderalistische 
Richtung würde es sein, wollte man vor dem zu vervollständigen 
den Organismus des Reichsparlaments als vor einem dem GEinheits- 
staate zu förderlichen zurückschrecken, und wollte man im Interesse des 
föderalistischen Prinzips auf die erweiterte Competenz des Bundesraths 
das Hauptgewicht legen, während man den parlamentarischen Organismus 
in einer mit allen sonstigen Einrichtungen in den Bundesstaaten außer 
Einklang stehenden, auf der breitesten demokratischen Basis errichteten, aus 
allgemeinen und directen Wahlen hervorgehenden Einzelkammer ver- 
kümmern lassen wollte. Das föderalistische Prinzip mit den Anforderungen und 
Bedingungen der Freiheit in Conflict bringen, wird unzweifelhaft die Schmäle- 
rung des ersteren zur Folge haben. Der Geist der Nation ist durchschnittlich 
ein friedlicher, conservativer und föderativer, wie sich um so sicherer er- 
geben wird, wenn der Organismus des künftigen Deutschen Parlaments 
alle berechtigten Interessen in herkömmlicher Sichtung zur Vertretung ruft.
	        
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