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versammlung entwickelt worden; ich habe also nichts Neues, und am
wenigsten etwas, was feindlich gegen Preußen sich richtete, postulirt. Ich
hate bedingen zu müssen geglaubt, was ich für nothwendig erachte, damit
Preußen die wohlthätige Stellung in Deutschland einnehme, die wir im
Juleresse Deutschlands für dasselbe in Anspruch nehmen. Ferner habe ich
für die Reichs-Vertretung das Zwei-Kammer-System postulirt. Das
Einkammer-System bei allgemeinem und direktem Wahlrecht ist, wie die
Erfahrung lehrt, eine Maschinerie im Interesse des Absolutismus. Der
heutige Bundesrath im Norddeutschen Bunde, halb Executive, halb Legis-
lative — und so wird er auch in dem neuen Deutschen Bunde nach der Ver-
fassung sein, die uns zur Genehmigung vorliegt — ist meines Erachtens eine
Anomalie. Er bleibe, als ein Hort der staatlichen Autonomie, als ein Theil
der Erekutive, ein Rath der Krone; aber daß er zugleich die Rolle eines Ober-
hauses spiele, das stößt gegen die durch die Erfahrung erprobten Lehren
von dem Organismus an, durch welchen politische Freiheit zu begründen
und zu erhalten ist — Lehren, die ungestraft nicht mißkannt werden dürfen.
Ver in constitutionellen Grundsätzen aufgewachsen ist und darin lebt, kann
sich mit solchen Anomalien nicht versöhnen. Ein Oberhaus kann gebildet
werden auf verschiedene Art und ich will darin keine Meinung als eine
solche bezeichnen, die auf unzweifelhafte Geltung Anspruch habe. Es kann
zum Theil aus den Kammern der einzelnen Staaten, zum Theil aber auch
aus solchen, theils erblichen, theils gewählten Elementen gebildet werden,
welche das Vorhandensein des Groß-Grundbesitzes überall in Deutschland
als die bewährtesten für die Reichsvertretung der Berücksichtigung em-
pfiehlt. Den fürstlichen Dynastien muß es wenigstens freigestellt sein, ob
sie in der Versammlung der Reichs-Vertretung persönlich Platz nehmen
wollen; denn je weniger in Zukunft berechtigtem Ehrgeiz die Rolle Be-
friedigung gewähren mag, welche die Fürsten-Geschlechter in den vom Reich
abhängigen Bundes-Staaten auf den Thronen spielen werden, um so mehr
ist es gerecht, billig und zu wünschen, daß ihnen der Weg nicht versperrt
sei, jede persönliche Geltung sich innerhalb des Organismus des Deutschen
Reichs zu erwerben, zu der sie Beruf fühlen. Durch die Annektationen
find Elemente rechtlos geworden, die im Rechtsstaat in dieser Rechtlosigkeit
nicht verbleiben können. Ein Oberhaus wird die natürliche Brücke für
manche Elemente sein, bezüglich deren es nicht gleichgültig ist, ob sie mit
der neuen Ordnung versöhnt werden, und bei denen es gilt, ihnen die
Bege zu bahnen, um diejenigen öffentlichen Rechte auszuüben, deren Aus-
übung die Staatsweisheit am besten von Solchen gewahrt sieht, welche
mit bedeutendem Vermögens-Besitz ausgestattet sind und welche damit
Bürgschaft für das vorzugsweise Interesse an der Erhaltung der natio-
nalen Institutionen künftig geben werden. — Meine Herren, ich bin weit-
läufiger geworden, als ich es beabsichtigte und doch konnte ich Manches
nur andeuten. Haben Sie Nachsicht mit mir. Ich habe nachgewiesen,