Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

460 Hessen. Verhandlungen der zweiten Kammer. 
machen, wie sich das Wesen des Norddeutschen Bundes für die Gemein- 
samkeit des Deutschen Reiches fortentwickeln soll. Die allgemeinen 
Aenderungen weseutlicher Natur betreffen zunächst die Organe des Nord- 
deutschen Bundes selbst. Hier begegnen wir einer Befürchtung, ausge- 
sprochen von den sogenannten Centralisten, die da behaupten: es sei in 
Folge der Vermehrung der Stimmen im Bundesrathe, wonach Preußen 
unter 58 Stimmen seinerseits nur 17 führt, dessen Majorifirung möglich: 
es werde die Centralmacht dadurch beeinträchtigt, und könne unter bestimm- 
ten Constellationen dem Auseinanderfalle der zum Theile — Baiern und 
Würtemberg nur lose gebundeuen Staaten entgegengearbeitet werden. 
Meiner Ansicht nach eine eitle und kurzsichtige Befürchtung! Konnte denn 
bis jetzt auch nur der Gedanke Platz greifen, daß Preußen unter den seit- 
herigen Bundesstaatsverhältnissen, wonach es ebenfalls nur eine Minder- 
heit der Stimmen hatte, majorisirt werden könne? Ist es voraussichtlich, 
daß, selbst bei 58 Stimmen, der Staat, welcher alle Machtverhältnisse in 
Händen hat, durch einen Bundesrath majorisirt werden könne, dem keiner- 
lei reelle Machtbefugniß zusteht? Man hat als eine wesentliche, im Sinne 
des Förderativsystems stattgefundene Aenderung hervorgehoben, daß inner- 
halb des Bundesrathes ein eigener Ausschuß für äußere Angelegen- 
heiten gebildet werden solle, in welchem die drei Königreiche, welche zu 
einer Sonderstellung Neigung fühlen könnten, die Stimmen und Bavern 
den Vorsitz führt. Aber auch dieser Ausschuß ändert, meiner Ansicht nach, 
nicht im Geringsten die wesentliche Grundlage der Norddeutschen Bundes- 
verfassung. Die völkerrechtliche Vertretung verbleibt nach wie vor dem 
Bundespräsidium. Es wird, nach der Natur diplomatischer Verhandlungen, 
sicherlich dieser Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten nicht weiter in 
die Geschicke des neuen Reichs eingreifen, als es gerade dem entscheidenden 
Staatsmanne von Interesse erscheint, dessen gleichsam moralische Unter- 
stützung zu gelegener Zeit in Anspruch zu nehmen. Welche Rolle dürfte 
wohl ein solcher Ausschuß bei dem diplomatischen Schachspiele mit einem 
Herzog von Grammont gespielt haben? Das sind keine wesentlichen Aen- 
derungen, welche die Machtstellung des deutschen Präsidiums zu beeinträch- 
tigen vermöchten. Es sind dagegen sehr wesentliche Aenderungen eingetre- 
ten, welche einestheils allerdings die Centralmacht zu beeinträchtigen scheinen, 
anderntheils nicht zur Förderung einer föderativen Grundlage der Bundes- 
verfassung dienen dürften. Wir überkommen durch dieses Verfassungswerk, 
auch für solche Gegenstände, welche nach der Natur des Bundesstaats Aus- 
fluß dessen Gesetzgebung für jeden Einzelstaat bilden sollten, gemeinsame 
und uicht gemeinsame Angelegenheiten der Bundesstaaten. Solche 
Senderstellung bedingen sich als jus singulare — d. i. ohne ihre Zu- 
stimmung unabänderlich — Baiern und Wirtemberg hinsichtlich des 
Post-Telegraphen= und Eisenbahnwesens, der Militärverhältnisse, der Ge- 
setzzgebung in einzelnen sehr wichtigen Materien, insbesondere des Heimaths-
	        
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