Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Dumont. 463 
Staates in keiner Weise gerechtfertigt finden. Baiern glaubte lediglich für 
sich sorgen zu müssen. Es lag in seiner Hand, — als der mächtigste Bundes- 
genosse, dessen Heere so wuchtig mit in die Ereignisse eingegriffen, zum 
glerreichen Erfelg beigetragen und noch fortwährend beitragen, — sein Wort 
bei der Bestimmung des neuen Werks auch zu Gunsten der übrigen 
Bundesgenossen in deutsch-wationalem Interesse in die Wagschale zu legen. 
Es batte hierzu alle Veranlassung, nach den diplomatischen Verhandlungen 
über eine Einigung Deutschlands seit 1866; es hatte alle Veranlassung selbst 
in Versailles, in Feindesland, die übrigen Bundesglieder, seine seitherigen 
Schicksalsgenossen, zu vereinigen, um gemeinsam das Werk zu fördern. 
Es hat dagegen nach dem Grundsatze gehandelt: Chacun chez soi, 
cbacun pour soi, et dieu pour tous. Ich fürchte, solch Verhalten wird 
sich rächen. Glaubt Baiern etwa, gegenüber der gewaltigen Organisation 
des mächtigen Staates, der das ganze Bundesverhältniß zum Einheits- 
staate zu entwickeln, zu entpuppen droht, gegenüber dem Staate, dessen 
Militärgewalt alle streitbaren Kräfte des Bundes umfasset und wie ein 
rether Faden das Kabeltau durchwindet, welches Baiern und die anderen 
Staaten sämmtlich an das Staatsschiff des norddeutschen Bundes fesselt, 
— glaubt Baiern der natürlichen Entwicklung der Dinge zum Trotz seine 
Senderstellung behaupten, oder durch dieselbe eine wahrhaft föderative 
Grundlage für das Ganze erstreben und erringen zu können? Nimmermehr! 
Es giebt auch in der politischen Welt gleichwie am Himmelszelte, wenn 
ich Kleines mit Großem vergleichen darf, Grundsätze des Schwergewichts, 
welche unabänderlich sich geltend machen. Auch in der politischen Welt 
zilt der Grundsatz der Anziehungskraft des mächtigeren Körpers. Ein so 
stark organisirter, stramm im Sinne des Einheitsstaates entwickelter Staat 
wie Preußen mit dem Nordbunde wird als politische Nothwendigkeit mit 
sich führen, daß auch Baiern demnächst sich allen seinen Gesetzen und 
Machtbestrebungen gleichwie die anderen Vasallenstaaten fügen muß. Ja, 
das Symbol, welches Preußen so geschickt an seine Fahne zu knüpfen 
wußte, das Symbol der Einheit der Nation wird der unüberwindliche 
Kämpxe gegen die Sonderstellung auch Baierns werden. So rächt sich der 
Grundsatz: Jeder für sich und Gott für Alle! Meine Herren, wenn ich die 
richtige Würdigung der Stellung Baierns zum Ganzen gegeben habe, so 
lann ich mich nicht enthalten, mein Befremden darüber auszudrücken, wie 
gerade Baiern nach der Stellung, die es zum Verfassungswerke eingenom- 
men, die romantische Idee des Kaisers hervorrufen mochte. Ich sage die 
remantische Idee, denn der Kaiser des heiligen römischen Reiches kann 
nicht mehr aufleben, Barbarossa wird auch fortan im HKyfthäuser 
ruhen; alle Bedingungen des alten römisch-germanischen Kaiserthums sind 
im Laufe der Zeit geschwunden. Sollte die Kaiseridee eine wahrhaft 
lebenekräftige werden, so müßte sie im Volke wurzeln, und soll sie im 
Volke wurzeln, was sie geradezu entbehrt, so muß der Kaiser — es ist ein
	        
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